Traeume wie Samt
wer die Schlägerei begonnen hatte. Nach den Gesetzen der Naturwissenschaft war das Ergebnis vorhersagbar. In der Kneipe tobte eine allgemeine Schlacht. Schreie, Rufe und Flüche klangen durcheinander. In dem verzweifelten Versuch, den Lärm zu übertönen, drehte die Band den Verstärker auf. Harry, der beabsichtigte, seine Verwandten sicher in die Limousine zu schaffen, bewegte sich schnell. Er wich einer schwingenden Faust aus, um dem Mann in Jeans gleich darauf einen kräftigen Schlag in den hervortretenden Bauch zu verpassen. Der Dicke stolperte rückwärts. In seinem fleischigen Gesicht erschien ein verblüffter Ausdruck. Bevor er sich erholen konnte, packte Harry Parker an der Schulter und schob ihn zur Tür. Doch sein Großvater hatte andere Dinge im Kopf.
»Verdammter Krawallmacher«, rief er und schlug mit einer Flasche Skid Road auf einen der drei Männer ein, die mit der Pöbelei begonnen hatten. Die Flasche zerbarst auf dessen Schulter, und der Mann schrie wütend auf. Harry lotste Parker aus der Gefahrenzone. Josh und Brandon sahen ihn ratsuchend an.
»Josh, kümmere dich um Raleigh«, befahl Harry. »Brandon, bring Gilford und Parker nach draußen. Ich helfe Leon.«
»Okay.« Brandon umfaßte Parker und bewegte sich mit ihm zur Tür.
Josh griff nach Raleighs Arm. »Nun aber raus hier, Cousin. Die Party ist vorbei.«
»Ach, Mist. Der Spaß fing gerade erst an«, beschwerte sich Raleigh. Dann ließ er sich zur Tür ziehen.
Bevor Leon zu einem erneuten Schlag mit der Krücke ausholen konnte, erwischte Harry ihn am Kragen.
»Was gibt’s, verdammt?« Leon funkelte ihn an. »Laß los. Ich habe hier noch etwas zu erledigen.«
»Es ist meine Party«, sagte Harry, während er Leon zur Tür drängte. »Und ich will jetzt gehen.«
»Für Spaß hattest du noch nie einen Sinn, Junge«, murrte Leon, während Harry ihn in die Nacht hinausschob. »Das ist das Problem. Du weißt nicht, wie man sich amüsiert.«
Harry ignorierte seinen Onkel. Während seine Verwandten nacheinander die Limousine bestiegen, zählte er die Köpfe. Es gab einen kurzen, unangenehmen Augenblick, als Leons Krücke in der Wagentür hängenblieb, aber Harry gelang es, die Tür zu schließen, bevor die Schlägerei sich auf den Parkplatz ausdehnte.
»Sieht aus, als wären wir vollzählig.« Harry suchte den Blick des Chauffeurs im Rückspiegel. »Dann los.«
Der Chauffeur hatte den Motor schon eingeschaltet. »Mit Vergnügen, Sir.«
Die dicken Reifen wirbelten den Kies hoch, als die Limousine den Parkplatz der Kneipe mit Vollgas verließ. Irgendwo in der Ferne hörte man Sirenengeheul, doch sie waren längst in Sicherheit. Für einige Minuten sagte niemand ein Wort. In den Gesichtern standen merkwürdige Blicke, als sich die Männer im Dämmerlicht des Fahrgastraums der Nobellimousine ansahen. Schließlich schmunzelte Leon und hielt mehrere Flaschen Skid Road hoch, die er irgendwie auf dem Weg zur Tür erbeutet hatte.
»Wie wär’s mit einer Runde?«
»Verdammt, ja«, sagte Raleigh. »Gib mir eine, Onkel Leon. Ich kann sie brauchen.«
»Ich persönlich würde etwas Stärkeres bevorzugen«, murmelte Parker.
Josh grinste und durchstöberte die kleine Bar der Limousine. »Ich glaube, es gibt eine Flasche Whiskey hier. Ja, da haben wir sie.« Er hielt die Flasche hoch.
»Gott sei Dank.« Parker beobachtete Josh, der den Whiskey einschenkte. »Eine Situation wie diese habe ich nicht mehr erlebt, seit ich bei den Marines war.«
Mit plötzlichem Interesse sah Leon Harrys Großvater an. »Sie waren bei den Marines?«
»Ja.« Parker nahm den Whiskey von Josh entgegen.
»Ich auch, verdammt.« Leon streckte die Hand aus.
Parker zögerte, dann schüttelte er Leons Hand.
Harry spürte die seltsam veränderte Stimmung bei der kleinen Gruppe im Fond der Limousine. Er wußte nicht, was geschehen war, aber es fühlte sich gut an.
Brandon sah sich um. »Meine Herren, ich glaube, wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das meine Frau, die eine anerkannte Psychologin ist, als männliches Bindungserlebnis bezeichnen würde.«
»Ich weiß nicht, was das bedeutet«, sagte Leon vergnügt, »aber ich trinke darauf.«
Das kratzende Geräusch, mit dem ein Schlüssel an der Eingangstür bewegt wurde, weckte Molly. Endlich war Harry wieder zu Hause. Sie kam vom Sofa hoch, auf dem sie beim Lesen eingeschlafen war, und sah auf die Armbanduhr. Überrascht stellte sie fest, daß es beinahe ein Uhr morgens war.
Erleichterung durchfloß sie.
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