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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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nächsten Tag ging ich zur Post, aber es gab keine Nachricht von ihm. Ich dachte, daß er verzogen wäre und daß daher diese Verzögerung käme. Aber, um die Wahrheit zu sagen, spürte ich schon auf der Post ein Gefühl der Unruhe. Dieses Schweigen war Olaf durchaus nicht ähnlich. JedoCh wegen all der Dinge, die da passiert waren, dachte ich daran nur ganz kurz und habe rein gar nichts geahnt.
    Als hätte ich es vergessen.
    Für ein Paar, das nur infolge der Heftigkeit meines Begehrens zusammenkam, waren wir erstaunlich harmonisch. Unser Leben wurde auf eine ziemlich eigenartige Weise eingeteilt. Hatten wir Meinungsverschiedenheiten, so verstand Eri ihren Standpunkt zu verteidigen, aber meist ging es dabei um allgemeine Fragen. Sie war zum Beispiel eine überzeugte Anhängerin der Betrisierung und verteidigte sie mit Argumenten, die sie nicht den Büchern entnahm. Die Tatsache, daß sie ihre Meinung so offen der meinen entgegensetzte, hielt ich für ein gutes Zeichen, aber unsere Diskussionen fanden am Tage statt. In seinem Licht auch über mich in einer ruhigen, objektiven Art zu sprechen, traute sie sich nicht
    - oder vielmehr wollte sie nicht, weil sie wahrscheinlich nicht wußte, welches von ihren Worten zu einer Kritik irgendeines meiner Fehler oder Lächerlichkeiten werden würde und welches zu einem Angriff gegen die Wertbegriffe meiner Zeit. In der Nacht aber - als ob die Dunkelheit meine Anwesenheit reduzierte und verdünnte - sprach sie zu mir über mich, das heißt -über uns. Und ich erfreute mich an diesen Gesprächen in der Dunkelheit, weil sie so barmherzig mein vielfaches Staunen verdeckte.
    Sie erzählte mir von sich, von ihrer Kindheit. Auf diese Weise erfuhr ich zum zweiten, oder eher zum ersten Mal - jetzt erst mit einem reellen, menschlichen Inhalt erfüllt -, wie kunstvoll diese Gesellschaft einer andauernden, zärtlich stabilisierten Harmonie konstruiert war. Als natürlich wurde da betrachtet, daß Kinder haben und sie in den ersten Lebensjahren erziehen ein Problem ist, das hohe Qualitäten und eine vielseitige Vorbereitung erfordert, ganz spezielle Studien also; allein für die Erlaubnis, einen Nachkommen zu zeugen, mußte ein Ehepaar eine Reihe von Tests bestehen; am Anfang schien mir das unerhört, aber nach einigem Nachdenken mußte ich zugeben, daß paradoxe Sitten vielmehr uns, die Alten, nicht sie, belasteten. Denn in der alten Gesellschaft konnte man kein Haus, keine Brücke bauen, keine Krankheit heilen, keine einfache Verwaltungsmaßnahme durchführen, ohne eine entsprechende Ausbildung zu besitzen, und allein das Problem der größten Verantwortung, das Zeugen von Kindern und die Gestaltung ihrer Psyche, wurde dem blinden Zufall und der momentanen Begierde überlassen.
    Die Gesellschaft griff erst dann ein, wenn Fehler begangen worden waren, für deren Korrektur es bereits zu spät war.
    Das Recht auf ein Kind war also eine besondere Auszeichnung, die nicht jedem zugesprochen werden konnte; ferner durften die Eltern die Kinder von Gleichaltrigen nicht isolieren- man bildete besonders zusammengesetzte Gruppen beider Geschlechter, in denen die verschiedensten Temperamente vertreten waren; die sogenannten Problemkinder wurden zusätzlichen hypnogogi-schen Eingriffen unterzogen, und alle fingen recht früh mit dem Lernen an. Es war aber kein Lese- und Schreibunterricht, der kam erst viel später; die eigenartige Ausbildung der Allerjüngsten beruhte darauf, sie durch besondere Spiele in das Funktionieren der Welt, der Erde, ihrer Reichtümer und die verschie -densten Formen des gesellschaftlichen Lebens einzuführen; den Vier- bis Fünfjährigen brachte man auf diese sozusagen natürliche Art die Grundlagen der Toleranz, des Zusammenlebens, der Achtung anderer Überzeugungen und Haltungen bei, der Unwesentlichkeit der unterschiedlichen äußeren körperlichen Merkmale der Kinder - also der Menschen - verschiedener Rassen.
    All das schien mir sehr schön, nur mit einem grundsätzlichen Einwand: weil nämlich das feste Fundament dieser Welt, seine allumfassende Regel, die Betrisierung war. Die Erziehung zielte eben darauf hin, sie als eine Selbstverständlichkeit - wie Geburt und Tod - hinzunehmen. Als ich aber aus Eris Munde vernahm, wie man in den Schulen alte Geschichte lehrte, überkam mich ein Zorn, den ich nur mit Mühe bezwingen konnte. Aus dieser Sicht waren es nämlich Zeiten einer tierischen Welt und einer barbarischen, ungehemmten Geburtenfreudigkeit, gewaltiger

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