Transit
Brief, den sie mir geschickt hat, einen zweiten Brief beigelegt für einen Mann, den ich sehr gut kenne. Die Frau dieses Mannes nämlich hat sie um den Dienst gebeten, die Beförderung der Post nach Paris. Sie schreibt sogar, verzweifelt gebeten.
Der Mann ist hier in Paris geblieben, er konnte nicht mehr rechtzeitig fort, er ist noch immer hier. Du hast doch sicher schon etwas gehört von dem Dichter Weidel?« Ich hatte noch nie etwas von ihm gehört. Das Paulchen versicherte rasch, das schade auch nichts für den Dienst, um den er mich bitte.
Er zeigte auf einmal Unruhe. Er war vielleicht schon die ganze Zeit unruhig gewesen, nur ich hatte nicht darauf achtgegeben. Ich war gespannt, worauf er hinaus wollte. Herr Weidel wohne in nächster Nähe, in der Rue de Vaugirard. In dem kleinen Hotel zwischen Rue de Rennes und Boulevard Raspail. Er selbst, das Paulchen, sei heute schon einmal dort gewesen. Man habe ihn aber auf seine Frage, ob der Herr Weidel daheim sei, sehr merkwürdig angesehen. Auch habe sich die Patronin geweigert, den Brief in Empfang zu nehmen. Und andererseits habe sie auf die Frage, ob der Herr denn umgezogen sei, ausweichend geantwortet. Ich möchte doch, sagte das Paulchen zögernd, noch einmal mit diesem Brief hinaufgehen und irgendwie die Adresse ausfindig machen, damit der Brief an den Mann käme. Ob ich wohl bereit sei? Ich mußte lachen und sagte: »Wenn das alles ist!« – »Vielleicht ist er von der Gestapo geholt worden?« – »Ich werde das alles schon herausfinden«, sagte ich. Das Paulchen belustigte mich. Ich hatte auf unserm Dock, als wir Schiffe ausluden, kein Zeichen besonderer Angst an ihm wahrgenommen. Wir hatten uns alle gefürchtet, er auch, er hatte in unserer gemeinsamen Furcht nicht mehr Unsinn geredet als wir alle. Er hatte genau wie wir alle geschuftet, denn wenn man sich fürchtet, ist es besser, etwas zu tun, sogar viel zu tun, als den Tod mit Gezuck und Gezappel zu erwarten wie die Küken den Geier. Und diese Betriebsamkeit vor dem Tod hat mit Mut nichts zu tun. Nicht wahr? Obwohl sie manchmal damit verwechselt, in diesem Sinn belohnt wird. Jetzt aber war Paul bestimmt furchtsamer als ich, das dreiviertel leere Paris mißfiel ihm, die Hakenkreuzfahne, er sah einen Spitzel in jedem Mann, der ihn streifte. Wahrscheinlich hatte Paulchen früher einmal irgendeinen Erfolg gehabt, er hatte ungeheure Erfolge haben wollen, er konnte es gar nicht aushalten, sich gar nicht ausdenken, daß er jetzt derselbe arme Teufel wie ich war. Er drehte also den Spieß herum und fühlte sich ungeheuer verfolgt. Er glaubte fest, die Gestapohabe nichts zu tun, als vor dem Hotel dieses Weidel auf das Paulchen zu warten.
Ich nahm ihm also den Brief ab. Das Paulchen versicherte noch einmal, der Weidel sei wirklich ein großer Dichter. Er wollte mir damit wohl meine Mission versüßen. Das war in meinem Fall unnötig. Der Weidel hätte auch ein Krawattenhändler sein dürfen. Mir hat es schon immer Spaß gemacht, durcheinandergeratenes Garn zu entwirren, und umgekehrt hat es mir immer Spaß gemacht, ganz glattes Garn durcheinander zu bringen. Das Paulchen bestellte mich auf den nächsten Tag in das Café Capoulade.
Das Hotel in der Rue de Vaugirard, schmal und hoch, war ein Durchschnittshotel. Die Patronin war über den Durchschnitt hübsch. Sie hatte ein zartes, frisches Gesicht und pechschwarzes Haar. Sie trug eine weiße Seidenbluse. Ich fragte ganz ohne Überlegung, ob ein Zimmer frei sei. Sie lächelte, während mich ihre Augen kalt musterten. »Soviel Sie wollen.« – »Zuerst etwas anderes«, sagte ich, »Sie haben hier einen Mieter, Herrn Weidel, ist er zufällig daheim?« Ihr Gesicht, ihre Haltung veränderten sich, wie das nur bei Franzosen zu sehen ist: Die höflichste unnachahmliche Gleichmütigkeit schlägt plötzlich, wenn da die Fäden reißen, in rasende Wut um. Sie sagte, ganz heiser vor Wut, aber schon wieder in den geläufigen Redensarten: »Man fragt mich zum zweitenmal an einem Tag nach diesem Menschen. Der Herr hat sein Domizil gewechselt – wie oft soll ich das noch erklären?« – Ich sagte: »Sie erklären es jedenfalls mir zum erstenmal. Haben Sie doch die Güte, mir zu sagen, wo der Herr jetzt wohnt.« – »Wie soll ich das wissen«, sagte die Frau. Ich merkte langsam, auch sie hatte Furcht, aber warum? »Sein jetziger Aufenthalt ist mir unbekannt, ich kann Ihnen wirklich nicht mehr sagen.« Den hat am Ende doch die Gestapo geholt, dachte ich. Ich legte meine Hand
Weitere Kostenlose Bücher