Transit
auf den Arm der Frau. Sie zog ihren Arm nicht weg, sondern sah mich an mit einem Gemisch von Spottund Unruhe. »Ich kenne ja diesen Mann überhaupt nicht«, versicherte ich, »man hat mich gebeten, ihm etwas auszurichten. Das ist alles. Etwas, was für ihn wichtig ist. Ich möchte auch einen Unbekannten nicht nutzlos warten lassen.« Sie sah mich aufmerksam an. Dann führte sie mich in das kleine Zimmer neben dem Eingang. Sie rückte nach einigem Hin und Her mit der Sprache heraus. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was dieser Mensch mir für Unannehmlichkeiten bereitet hat. Er kam am 15. gegen Abend, als die Deutschen schon einzogen. Ich hatte mein Hotel nicht geschlossen, ich war geblieben. Im Krieg, hat mein Vater gesagt, geht man nicht weg, sonst wird einem alles versaut und gestohlen. Was soll ich mich auch vor den Deutschen fürchten? Die sind mir lieber als die Roten. Die tippen mir nicht an mein Konto. Herr Weidel kommt also an und zittert. Ich finde es komisch, wenn einer vor seinen eigenen Landsleuten zittert. Ich war aber froh über einen Mieter. Ich war ja damals allein im ganzen Quartier. Doch als ich ihm meinen Anmeldezettel bringe, da bat er mich, ihn nicht anzumelden. Herr Langeron, wie Sie ja wissen, der Herr Polizeipräsident, besteht streng weiter auf Anmeldung aller Fremden, es muß ja auch Ordnung bleiben, nicht wahr?« – »Ich weiß nicht genau«, erwiderte ich, »die Nazisoldaten sind ja auch alle Fremde, Unangemeldete.« – »Nun, dieser Herr Weidel jedenfalls machte Chichi mit seiner Anmeldung. Er habe sein Zimmer in Auteuil nicht aufgegeben, er sei ja auch dort angemeldet. Mir gefiel das gar nicht. Herr Weidel hat schon mal früher bei mir gewohnt mit seiner Frau. Eine schöne Frau, nur hat sie zu wenig auf sich gehalten und öfters geweint. Ich versichere Ihnen, der Mensch hat überall Unannehmlichkeiten gemacht. Ich ließ ihn also in Gottes Namen unangemeldet. ›Nur diese eine Nacht‹, sagte ich. Er zahlte im voraus. Am nächsten Morgen kommt mir der Mann nicht herunter. Ich will es kurz machen. Ich öffne mit meinem Nachschlüssel. Ich öffne auch den Riegel. Ichhabe mir mal so ein Ding anfertigen lassen, womit man Riegel zurückschiebt.« Sie öffnete eine Schublade, zeigte mir das Ding, einen schlau ausgeknobelten Haken. »Der Mensch liegt angekleidet auf seinem Bett, ein Glasröhrchen leer auf dem Nachttisch. Wenn das Röhrchen vorher voll war, dann hat er eine Portion im Bauch gehabt, mit der man alle Katzen unseres Quartiers hätte umbringen können. Nun hab ich ja zum Glück einen guten Bekannten bei der Polizei Saint-Sulpice. Der hat mir die Sache ins reine gebracht. Wir haben ihn vordatiert angemeldet, den Herrn Weidel. Dann haben wir ihn sterben lassen. Dann wurde er beerdigt. Dieser Mensch hat mir wirklich mehr Verdruß gemacht als der Einmarsch der Deutschen.«
»Immerhin, er ist tot«, sagte ich. Ich stand auf. Die Geschichte langweilte mich. Ich hatte zuviel vertrackte Sterbefälle mitangesehen. Da sagte die Frau: »Sie müssen nicht glauben, daß darum die Unannehmlichkeiten für mich zu Ende sind. Dieser Mensch bringt es wirklich fertig, einem bis über das Grab hinaus Unannehmlichkeiten zu bereiten.« Ich setzte mich noch einmal. »Er hat einen Handkoffer hinterlassen – was soll ich nur mit dem Handkoffer tun? Er stand hier im Büro, als die Sache passierte. Ich vergaß ihn. Jetzt will ich doch nicht bei der Polizei noch einmal alles aufwärmen.« – »Na, schmeißen Sie ihn doch in die Seine«, sagte ich, »oder verbrennen Sie ihn in Ihrer Zentralheizung.« – »Das ist unmöglich«, sagte die Frau, »ich würde das nie riskieren.« – »Na, hören Sie mal, Sie haben sich schließlich die Leiche vom Hals geschafft, da werden Sie doch mit dem Handkoffer fertig werden.« – »Das ist etwas ganz anderes. Der Mann ist jetzt tot. Das steht amtlich fest. Der Handkoffer aber, das weiß ich, ist ein juristischer Gegenstand, der ist ein Sachwert, das kann geerbt werden, es können Anwärter kommen.«
Ich war der Sache schon überdrüssig, ich sagte: »Ich nehme das Ding gern an mich, das macht mir nichts aus.Ich kenne jemand, der mit dem Toten befreundet war, der kann den Handkoffer zu der Frau bringen.« Die Wirtin war überaus erleichtert. Sie bat mich nur, ihr einen Empfangsschein auszustellen. Ich schrieb einen falschen Namen auf einen Zettel, den sie datierte und quittierte. Sie drückte mir herzlich die Hand, ich aber zog eilig ab mit dem Handkoffer. Denn
Weitere Kostenlose Bücher