Traumfabrik Harvard
education
heißt.
Forschung, ein zentraler Bezugspunkt für das Selbstverständnis deutscher Universitäten, spielt für die übergroße Mehrzahl
dieser Einrichtungen so gut wie keine Rolle. Sie haben weder den Nimbus noch die Ressourcen der berühmten Elite-Unis – und
streben auch gar nicht danach. Die meisten offerieren eine Ausbildung, wie man sie in der Region oder bei einer besonderen
Zielgruppe schätzt und die man sich, wenngleich oft zähneknirschend, einiges kosten lässt. Selbst die etwa 250 bis 300 Forschungsuniversitäten
(
research universities
) umweht nicht die ehrwürdige Aura ihrer älteren europäischen Schwestern. Nur bei Harvard & Co ist etwas davon zu spüren,
aber sie sind nicht einmal für diesen Typ »typisch«, sondern spielen in einer speziellen Liga.
New Haven, eine zwischen New York City und Boston gelegene einst reiche, heute aber verarmte Stadt von 130.000 Einwohnern,
bietet ein gutes Beispiel für die Alltäglichkeit und Vielfalt von Hochschulen in Amerika – und zugleich auch für die Unübersichtlichkeit
der Szene. Neben der vornehmen privaten Yale University mit gut 11.000 Studenten und knapp ebenso vielen Beschäftigten beherbergt
sie sechs weitere Hochschulen: Drei private Universitäten mit zusammen 18.000 Studenten und einen kleinen privaten Anbieter
von Online-Kursen für nichtärztliche Gesundheitsberufe sowie zwei öffentliche Einrichtungen, nämlich eine regionale Landes-Hochschule
mit 12.000 Studenten und ein
Community College*,
das höhere Bildungsabschlüsse unterhalb des Bachelorgrades und weiterbildende |16| Veranstaltungen für weitere 15.000 meist berufstätige Studenten anbietet
.
Obgleich die drei privaten Hochschulen ihrer berühmten Schwester Yale in keiner Weise das Wasser reichen können, sind auch
sie in ihrem Marktsegment gut etabliert. Auch sie verlangen saftige Studiengebühren – mehr als 25.000 Dollar pro Jahr – und
suchen sich ihre Studenten aus einem großen Bewerberpool aus. Trotz dieser erstaunlichen Hochschuldichte käme es New Haven
aber nie in den Sinn, sich mit dem Titel »Universitätsstadt« zu schmücken: Dafür sind Colleges ein viel zu selbstverständlicher
Teil des amerikanischen Lebens, nicht viel anders als die unvermeidlichen
shopping plazas
oder lokalen Feuerwachen.
Jeder Amerikaner mit einem halbwegs hochwertigen und interessanten Job hat irgendwo irgendwann irgendeine Art von
higher education
durchlaufen. Ein Collegeabschluss ist längst die notwendige Voraussetzung dafür, um eine gut bezahlte, einigermaßen befriedigende
Anstellung mit einer halbwegs sicheren Perspektive zu finden, ein auskömmliches Leben führen und vielleicht sogar Karriere
machen zu können. Zwar bietet er keine Gewähr mehr dafür, ist kein sicherer Weg zum Erfolg im bürgerlichen Leben. Aber nur
mit einem
Highschool Diploma
(HSD
)
in der Tasche lässt sich all das kaum noch erreichen, und wer die Schule gar ohne Abschluss verlässt, hat so gut wie gar keine
Chance auf eine längerfristige Anstellung und einen anständig bezahlten Job, eine Kranken- und Rentenversicherung. Die Wasserscheide
zwischen kalkulierbaren und prekären Lebensläufen verläuft immer stärker zwischen Collegeabschluss und HSD. 3 2004/05 hatten sogar 37 Prozent der Flugbegleiter, 21 Prozent der Einbalsamierer und 13 Prozent der Sicherheitskräfte und
der
dealer
in Casinos ein College absolviert. 4 Obwohl die Engführung zwischen Bildungsabschluss und Beruf in den USA viel schwächer ist als in Deutschland, gibt es dennoch
ein klares Junktim zwischen formaler Ausbildung und beruflichen Chancen, Hochschulbildung und Lebensführung. So erklärte mehr
als die Hälfte der Befragten in einer repräsentativen Umfrage vom Februar 2007, ein Collegeabschluss sei »necessary for achieving
success«, und sage und schreibe 82 Prozent glaubten, dass tatsächlich jeder, der es nur wolle und über die nötigen Fähigkeiten
und die Energie verfüge, eine Hochschule besuchen könne (
Chronicle of Higher Education
, 31.4.2007). Das College ist aus dem amerikanischen Leben nicht mehr wegzudenken; es ist zu einer gesellschaftlichen Schlüsselinstitution
geworden. Empirisch ist der enge Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Lebenschancen seit Mitte der 1970er Jahre zweifelsfrei
nachweisbar: Lag das Durchschnittseinkommen |17| von Hochschulabsolventen damals um 36 Prozent über dem von Inhabern eines HSD, fiel die Prämie dreißig Jahre später mit
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