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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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die amerikanische Methode bei, die Rückenwirbel oder andere Gliedmaßen einzurenken, und sie mir ihre.
    An jenem ersten Tag fiel mir auf, daß keine Tassen, Teller oder Servierschüsseln ausgepackt wurden. Ich hatte richtig geraten: Die Atmosphäre würde weiterhin ganz informell bleiben und jede Mahlzeit im Picknick-Stil eingenommen werden. Es dauerte gar nicht lange, da wurden die Backformen aus gefalteten Blättern aus den Kohlen genommen. Mit der Unterwürfigkeit einer Privat-Krankenschwester wurde mir mein Päckchen überreicht. Ich sah, wie alle ihre Päckchen öffneten und den Inhalt mit den Fingern aßen. Die Delikatesse in meiner Hand war warm, und ich spürte keine Bewegung mehr. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und öffnete die Blätter. Die Made war verschwunden. Zumindest sah der Inhalt einem Wurm nicht mehr ähnlich. Es war jetzt eine braune, krümelige Masse, die eher gerösteten Erdnüssen oder der Kruste eines Schweinebratens glich.
    »Ich glaube, damit kann ich fertigwerden«, dachte ich mir. Und ich wurde damit fertig - es schmeckte sogar gut! Ich wußte damals nicht, daß das Garen bei ihnen nicht üblich war und sie die Maden nur für mich gekocht hatten, und zwar bis zur Unkenntlichkeit.
    An diesem Abend erklärten sie mir, daß man ihnen von meiner Arbeit mit den städtischen Aborigines erzählt habe. Auch wenn diese jungen Erwachsenen weder vollblütige Ureinwohner waren, noch zu ihrem Stamm gehörten, sahen sie in meiner Arbeit doch die Geste eines Menschen, der sich wirklich Gedanken machte. Weil sie den Eindruck hatten, daß ich um Hilfe schrie, hatten sie mich dann eingeladen. Sie waren übereingekommen, daß meine Absichten gut waren.
    Ein Problem sahen sie aber darin, daß ich die Kultur der Aborigines nicht verstand und die Gebräuche ihres Stammes erst recht nicht. Die Zeremonien, denen ich mich an diesem Morgen hatte unterziehen müssen, waren Prüfungen gewesen. Man hatte mich akzeptiert und mich für würdig befunden, das Wissen von der wahren Beziehung der Menschen zu der Welt, in der wir leben, zu erlernen. Es war auch das Wissen über die jenseitige Welt, die Dimension, aus der wir kommen und in die wir alle wieder eingehen werden. Man würde mir das Wesen meines eigenen Seins aufdecken.
    Als ich jetzt unter ihnen saß, meine behandelten Füße eingehüllt in einen Mantel aus ihrem wertvollen, knapp bemessenen Blättervorrat, erklärte mir Ooota, welch enormes Unterfangen es für diese Wüstennomaden bedeutete, mit mir auf ein Walkabout zu gehen. Man erlaubte mir, an ihrem Leben teilzunehmen.
    Niemals zuvor hätten sie Kontakt zu einem Weißen aufgenommen oder gar eine wie auch immer geartete Beziehung für möglich gehalten. Sie waren der Ansicht, daß sich alle anderen Stämme in Australien den Regeln der weißen Regierung unterworfen hatten. Sie waren die letzten, die sich dem weiterhin verweigerten.
    Normalerweise zogen sie in kleinen Familiengruppen von sechs bis zehn Leuten umher, aber zu diesem Ereignis hatten sie sich alle zusammengefunden.
    Ooota sagte jetzt etwas zu der Gruppe, worauf jeder einzelne etwas zu mir sagte. Sie nannten mir ihre Namen. Die Wörter waren für mich zwar schwer verständlich, aber es half mir, daß jeder Name eine Bedeutung hatte. Bei den Aborigines werden Namen nicht so benutzt, wie wir in Amerika jemanden »Debbie« oder »Cody« nennen würden. Deshalb konnte ich jede Person mit der Bedeutung ihres Namens in Verbindung bringen, statt zu versuchen, das Wort selbst auszusprechen. Jedes Kind erhält bei seiner Geburt einen Namen, aber man geht davon aus, daß eine Person sich weiterentwickelt und der Geburtsname deshalb irgendwann ausgedient hat. Dann kann jeder eine neue, passendere Grußformel für sich wählen. Es ist sogar wünschenswert, daß sich der Name eines Menschen mehrmals in seinem Leben verändert, da auch Weisheit, besondere Talente und die Rolle in der Gemeinschaft erst mit der Zeit immer deutlicher hervortreten. In unserer Gruppe gab es unter anderen folgende Namen: Geschichtenerzähler, Werkzeugmacher, Geheimnisbewahrer, Nähmeister und Große Musik.
    Schließlich deutete Ooota auf mich und sagte jedem in der Runde immer wieder dasselbe Wort. Erst dachte ich, sie versuchten, meinen Vornamen auszusprechen, aber dann klang es wieder, als würden sie mich bei meinem Nachnamen nennen. Es war aber keiner von beiden. Das Wort, das sie in dieser Nacht benutzten, und der Name, den ich während dieser Reise tragen sollte, war

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