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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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und lag dann einfach auf dem Rücken und schaute in die Wolken, in denen ich alle möglichen Figuren erkannte.
    Meine Kindheit schien schon sehr lange zurückzuliegen. Ist es nicht eigenartig, daß der Himmel immer derselbe bleibt? Allerdings hatte ich den Himmelskörpern in den letzten Jahren nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt wölbte sich über mir ein kobaltblauer, silbern gesprenkelter Baldachin. Ganz deutlich konnte ich die Sternenformation erkennen, die auf der australischen Flagge als Kreuz des Südens abgebildet ist.
    Als ich da so lag, dachte ich über mein Abenteuer nach. Wie sollte ich jemals einem Menschen beschreiben, was heute geschehen war? Eine Tür hatte sich geöffnet, und ich war in eine Welt eingetreten, von deren Existenz ich bisher nichts gewußt hatte. Sicherlich war es eine Welt ohne jeglichen Luxus. Ich hatte an den verschiedensten Orten gelebt und viele Länder bereist, und zwar in allen möglichen Transportmitteln, aber diese Erfahrung war einzigartig. Ich kam mit mir überein, daß alles gut war, so wie es war.
    Am nächsten Morgen würde ich ihnen erklären, daß ein Tag für mich völlig ausreichend sei, um ihre Kultur schätzen zu lernen. Meine Füße würden die Wanderung zurück zum Jeep schon irgendwie überstehen.
    Vielleicht durfte ich mir ja auch etwas von ihrer wunderbaren Fußcreme mitnehmen, denn sie half wirklich.
    Mir reichte es, einmal in ihre Art Leben hineingeschnuppert zu haben. Der heutige Tag war deshalb gar nicht schlecht gewesen, wenn man von meinen gequälten Füßen einmal absah.
    Irgendwo tief in meinem Inneren war ich sehr dankbar dafür, daß ich erfahren durfte, wie andere Menschen leben. Ich erkannte langsam, daß durch das menschliche Herz mehr als nur Blut fließt. Ich schloß die Augen und sagte der Macht über mir ein stilles »Danke«.
    Am anderen Ende des Camps sagte jemand etwas.
    Es wurde erst von einer, dann von einer anderen Stimme wiederholt. Sie reichten es weiter. Jeder sprach denselben Satz, so daß er ein Netz von einer liegenden Person zur nächsten spannte. Zum Schluß ging der Satz an Ooota, dessen Schlafmatte neben der meinen lag. Er drehte sich um und sagte: »Es war uns eine Freude; dies ist ein guter Tag.«
    Diese Antwort auf mein lautloses »Danke« überraschte mich ein wenig, und ich antwortete diesmal mit einem laut ausgesprochenen »Danke« und »Es war mir eine Freude.«

7 •   Was ist Sozialversicherung?
    Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen auf mich fallen konnten, wurde ich am nächsten Morgen von Geräuschen geweckt: Die Aborigines sammelten die wenigen Gegenstände auf, die wir am Abend zuvor benutzt hatten. Man sagte mir, daß es jetzt jeden Tag heißer werden würde, deshalb wollten wir die kühleren Morgenstunden zum Laufen nutzen. Nach einer längeren Mittagsrast würden wir dann die Wanderung in den Abend hinein fortsetzen. Ich legte mein Dingofell zusammen und reichte es dem Mann, der alles zusammenpackte. Sie verstauten die Felle so, daß man leicht wieder an sie herankommen konnte, denn während der Mittagshitze würden wir entweder einen Unterschlupf suchen oder uns eine Wiltja, eine Art Sonnenschutz aus Gebüsch und Unterholz, bauen.
    Vielleicht würde uns aber auch ein Zelt aus den zusammengelegten Schlaffellen Schatten spenden.
    Fast alle Tiere meiden die glühende Sonne. Nur Eidechsen, Spinnen und Buschfliegen fühlen sich bei Temperaturen über 35 Grad Celsius noch wohl und sind aktiv. Selbst Schlangen müssen sich bei großer Hitze eingraben, da sie sonst austrocknen und sterben.
    Es ist gar nicht so einfach, sie rechtzeitig zu entdecken, denn wenn sie einen Menschen herankommen hören, stecken sie ihren Kopf aus dem sandigen Boden, um nach der Ursache für die Vibrationen zu suchen. Glücklicherweise wußte ich damals noch nicht, daß es in Australien über zweihundert verschiedene Schlangenarten gibt, von denen über siebzig giftig sind.
    An jenem Tag erlebte ich jedoch zum ersten Mal, welch wunderbares Verhältnis die Aborigines zur Natur haben. Bevor wir zu unserer Tageswanderung aufbrachen, stellten wir uns dichtgedrängt in einem Halbkreis auf, dem Osten zugewandt. Der Stammesälteste trat in die Mitte und stimmte einen Gesang an.
    Dann fielen alle in einen einheitlichen Rhythmus ein; einige klatschten in die Hände, andere stampften mit den Füßen oder schlugen sich auf die Schenkel. Das alles dauerte ungefähr fünfzehn Minuten. Diese Zeremonie wiederholten sie jeden Morgen, und mir war bald

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