Traumjäger (German Edition)
alt und riesig!
Ich starrte also auf dieses kleine Bild, schaute es mir ganz genau an. Und dann passierte es… Ihr müsst mir jetzt bitte glauben, dass es wirklich nicht meine Absicht war, dass ich auf einmal Orangenblütenduft in der Nase hatte und die warme Sonne erst sanft über meine geschlossenen Augenlider, dann über meine Nase, meine Wangen, mein ganzes Gesicht strich. Es war wirklich nicht meine Absicht, dass ich, als ich die Augen aufschlug, auf einer grünen Wiese lag, die von hohen duftenden Pinien- und Orangenbäumen umsäumt war. Ich setzte mich auf und schaute mich genauer um. Alte, verfallene Mauerreste zeugten von früheren, rustikalen Behausungen. Sanft und freundlich wuchs das frische Grün aus den zerbröckelten Mauerritzen und tröstete sie über die längst vergangenen Zeiten hinweg.
Auch einen tiefen Steinbrunnen gab es dort, und weil ich neugierig war, blickte ich in ihn hinab. Dunkel und feucht strömte die Luft zu mir ans Tageslicht. Es roch nach modriger Erde. Einen Boden konnte ich nicht erkennen. Ob er überhaupt einen hatte? Um das zu überprüfen, hob ich einen kleinen Kieselstein auf und ließ ihn in den dunklen, senkrechten Gang hinunterfallen. Vielleicht dämpfte die feuchte Erde tief unten den Aufprall, ich hörte ihn nämlich nicht. Ich hielt jedoch lieber an dem Gedanken fest, dass der schwarze Brunnen wirklich keinen Grund hatte. Niemand kann ernsthaft glauben, dass so ein tiefes, modriges Loch einen Boden hat!
Summendes Stimmengewirr lenkte mich von meiner Brunnenuntersuchung ab. Musikfetzen drangen an mein Ohr. Als hätten sich nicht weit von hier Menschen angesammelt. Gespannt ging ich dem immer lauter werdenden Geräusch nach. Und dann, ganz plötzlich, sah ich sie: zwei Gladiatoren. Leibhaftig! Sie kämpften verbissen miteinander, schwenkten schwitzend ihre schweren, scharfen Schwerter, die klirrend aufeinander trafen. Die Schneiden glänzten im Sonnenlicht. Das war vielleicht ein Anblick! Und um sie herum tobte vor Begeisterung eine riesige Menschenmenge. Dann erblickte ich das Kolosseum. Genauso wie ich es auf dem Bild gesehen hatte. Nur noch größer und noch beeindruckender.
Das nenn’ ich mal Geschichtsunterricht! dachte ich und beeilte mich, zu dem Schauplatz zu gelangen. Überall hatten Händler ihre Stände aufgebaut und boten kleine Miniaturen von den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Roms an. Ich machte mich ganz klein und zwängte mich zwischen den vielen Menschen hindurch. So lange, bis ich in der ersten Reihe stand und den kämpfenden Gladiatoren zusehen konnte. Es beeindruckte mich, wie geschickt sie mit den schweren Schwertern umgingen. Ihre Helme, die nur die Augen- und Kinnpartie freiließen, und die Lederrüstungen sahen so fantastisch echt aus! Sogar die Sandalen waren mit dünnen Lederriemen an ihren Waden festgeschnürt. Genauso mussten die alten Römer früher herumspaziert sein.
Ich wusste natürlich, dass die beiden Gladiatoren Schauspieler waren. Aber sie waren wirklich gut. Das fand die Menge auch und spendete den Darstellern reichlich Applaus, als sie den Kampf schließlich unentschieden und unverletzt beendeten.
Schleunigst ging ich weiter. Ich wollte das Kolosseum zu gerne einmal von innen sehen. Gerade wollte ich in die Arena schreiten, da winkte mir am Eingang ein Obsthändler. „Ciao!“, rief er und warf mir eine Orange zu. Ich fing sie mit einer Hand auf und rief: „Grazie!“
Im selben Moment durchfuhr mich ein Ruck. Es fühlte sich an wie ein heftiger Windstoß, der mich von innen packte und mich blitzartig aufzulösen schien. Der Obsthändler und das Kolosseum waren verschwunden.
Die fragenden Gesichter meiner Mitschüler und der Lehrerin waren mir zugewandt. Erschrocken blickte ich mich um. Wo waren die vielen Leute, die Gladiatoren, der würzige Duft von Pinienbäumen, die warme Sonne? Vor mir lag lediglich das offene Geschichtsbuch. Etwas irritiert blickte ich auf das kleine Bildchen, das mich zu diesem tollen Traum verlockt hatte. Nur, warum starrten mich alle an?
„Grazie? – Dein Italienisch ist beeindruckend, Andreas, aber ich darf dich daran erinnern, dass wir gerade Geschichte haben.“, tadelte Frau Schönlein. In den vorderen Bänken fingen meine Mitschüler an, leise zu kichern. Sie stießen sich gegenseitig an, um in meine Richtung zu zeigen. „Außerdem haben wir gleich Pause. Dann kannst du deine Orange essen. Aber bitte nicht während des Unterrichts. Du kennst doch die Regeln, Andreas!“
In der erhobenen
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