Traumtrunken
sah einen zweiten und ging hinüber, auf die andere Seite des Rondells.
Er ließ eine Tasse volllaufen und fasste in seiner Brusttasche nach den Zigaretten. Die Schachtel war fast leer, er musste neue besorgen.
Dann suchte er sich einen Platz am Fenster, schlang die Beerentorte hinunter und stellte den Teller weg. Nachdenklich durchstach er mit der Gabel die Luft.
Sie hatten sich doch eigentlich ganz gut unterhalten. Vielleicht könnte er Michaela am Wochenende ins Kino einladen? Einfach nur so. Um sie ein bisschen von ihrem Umzugsstress abzulenken.
Das ist gut, dachte er.
Er fragte sich, wie Michaela auf sein Angebot reagieren würde.
***
Der Film gefiel ihr.
Michaela hatte am Nachmittag solche Angst vor dem gemeinsamen Kinobesuch gehabt, dass sie Atze in letzter Minute absagen wollte. Aber sie wusste, dass er sich nicht damit zufrieden geben würde und es war ihr auch irgendwie peinlich.
Atze war sehr nett am Donnerstagabend. Und ein bisschen zurückhaltender. Als ob er es spürte, dass er Michaela damit verschreckte.
Sie hatten sich an der Kinokasse Popcorn und etwas zum Trinken gekauft und bis zur Hälfte des Films beide davon nichts angerührt. Und dann, kurz vor dem Ende, hatte Atze zu ihr hinübergelächelt und einfach seinen Arm um ihre Schulter gelegt.
Es fühlte sich gut an.
Als der Abspann kam, rutschte Michaela auf ihrem Stuhl ein Stück nach vorn. Sie lächelte flüchtig und begann vor Verlegenheit zu trinken.
Bis zur S-Bahn schwiegen sie. Auch Atze schien nachzudenken. Sie gingen nebeneinander her, berührten sich kaum mit den Jackenspitzen, und doch spürte Michaela die Wohligkeit, die Atze ausstrahlte. Sie merkte, wie sie bei diesem Gedanken rot wurde und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Es waren noch viele Leute unterwegs. Michaela beobachtete eine Frau, die mit zwei kleinen Kindern am Gleis stand. Das jüngere schlief im Wagen.
Ungewöhnlich. Um diese Uhrzeit? Gehörten Kinder da nicht ins Bett?
Einige ältere Menschen - die Männer in Anzug, viele von ihnen mit Fliege oder Krawatte, die Frauen in Kostümen oder schwarzen Kleidern unter den Mänteln - kamen auf der Rolltreppe nach unten gefahren.
Eine ältere kleine Frau, Michaela schätzte sie auf mindestens 80, ging mit einem Mann am Arm voraus. Sie trug einen engen Rock und schmale Absätze an den zierlichen Schuhen. Um mit dem Mann an ihrer Seite mithalten zu können, lief sie in winzigen Schrittchen. Michaela hatte nie eine so alte Frau in solchen Schuhen gesehen. Sie musste lächeln, als das Pärchen wackelig an ihnen vorübertippelte.
„Hat dir der Film gefallen?“, fragte Atze.
Michaela drehte sich überrascht zu ihm um und sah ihm direkt in seine dunkelbraunen Augen, die abwartend in ihrem Gesicht ruhten.
***
Die Blumen pflanzte Michaela im Frühjahr auf Atzes Balkon. Sie hatte Zweizahn, Husarenknöpfchen und Kapuzinerkresse aus der Gärtnerei mitgebracht und sich das Fahrrad von Doris geliehen, damit sie alles transportieren konnte.
Erde, Töpfe, Pflanzschalen und ein wenig Gartenwerkzeug hatte sie am Wochenende schon mit Atze im Baumarkt gekauft.
„Warum machst du das alles?“, fragte Atze, als sie fast fertig war. „Jetzt musst du jeden Tag gießen!“
„Das verstehst du nicht!“, antwortete Michaela etwas enttäuscht. Sie dachte, es würde ihm gefallen.
„Und wenn wir mal weg sind? Im Urlaub oder so?“
„Dann wird sich schon jemand finden, der sich darum kümmert.“
Michaela ging nach drinnen ins Bad und wusch sich mit Seife die Reste der Erde von den Händen. Sie war stolz auf ihren bepflanzten Balkon. Und das würde sie sich von Atze nicht nehmen lassen.
Außerdem glaubte sie sowieso, dass er nur mal wieder etwas gesucht hatte, womit er sie ärgern konnte.
„Komm her.“ Atze nahm Michaela in den Arm, als sie aus dem Bad kam. „War nicht so gemeint!“
Michaela genoss seine Zärtlichkeiten für einen Augenblick. Dann machte sie sich los und ging zum Balkon zurück, der am Abend im Schatten lag.
Schnell kehrte sie mit dem Handfeger über den Boden und wischte die Erde von dem kleinen Tisch, stellte die Stühle wieder daran und ging mit der Gießkanne in die Küche. Die Kapuzinerkresse ließ bereits die Blätter hängen. Es wurde Zeit, dass sie Wasser bekam.
Als sie fertig war, stellte sie die Kanne in die Ecke und setzte sich. Es war immer noch sehr warm draußen. Sie atmete ein und ließ den Duft auf sich wirken, den die nasse Erde ausströmte.
Sie
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