Traveler - das Finale
abzublocken und ihn mit der Bambusklinge zu treffen.
Nach einem leichten Frühstück verließen sie das Apartment, um in den Straßen rund um die Piazza Navona einkaufen zu gehen. Nachmittags legte Maya sich hin, während
verschiedene Lehrer vorbeikamen. Priest lernte Italienisch, während ein Student Alice in Geschichte, Literatur und Mathematik unterrichtete. Linden war wieder in Paris. Mit seiner Hilfe hatten sie eine ganze Sammlung von gefälschten Ausweisen und geklonten Pässen angehäuft, die es ihnen erlaubte, jedes Land der Welt zu bereisen.
Gegen sieben Uhr am Abend kam für gewöhnlich Simon Lumbroso zu Besuch, und immer brachte er frisches Obst oder Eis mit. Sie kochten zusammen oder spazierten durch die abendliche Stille zu einem der Restaurants im alten Ghetto. Die Kellner verwöhnten Alice mit speziellen Desserts, und alle erkundigten sich nach Mayas l’arrivo benedetto – der gesegneten Ankunft des Babys.
Weil Maya sich weigerte, Zeitung zu lesen oder fernzusehen, wurde Simon zu ihrer Hauptinformationsquelle für Nachrichten aus aller Welt. In den Monaten nach Gabriels Ansprache war viel passiert. In den USA war das Schutzengel-Programm eingestellt und die meisten RFID-Chips auf Wunsch der Eltern aus den Körpern der Kinder entfernt worden. Mehrere europäische Staaten hatten sich gegen die Einführung der Ausweispflicht entschieden, und in Deutschland verbot ein neues Gesetz die Speicherung von Käuferdaten, solange es sich um ungefährliche Waren handelte.
In Großbritannien hatte sich ein Verein namens »Zusammenhalt« gegründet, der bald in verschiedensten Ländern Ableger gebildet hatte. Anfänglich hatte sich der Protest der Gruppe ausschließlich gegen die Evergreen Foundation gerichtet, aber nach und nach befassten sich die Ortsvereine mit lokalen Fragen persönlicher Freiheit. Währenddessen hatten die Free Runner immer wieder unangemeldete Demonstrationen organisiert, um gegen das System zu protestieren. Jugger hatte sich einen Slogan ausgedacht – SCHLUSS MIT DER ANGST! –, der wenig später auf Häuserwänden und Brückenpfeilern in der ganzen Welt zu lesen war. In den spanischsprachigen
Ländern wurde er bald durch die Parole No Más und ein kleines Strichmännchen mit ängstlichem Gesicht ersetzt. Zu den Grafitti kamen so legendäre Veranstaltungen wie der Glasgower »Stich ins Auge «, bei dem man sämtliche Überwachungskameras der Stadt mit schwarzer Sprühfarbe unbrauchbar gemacht hatte.
Alle öffentlichen Protestaktionen wurden von den Medien begleitet, aber auch im Untergrund tat sich etwas. In Blogs und Chaträumen tauschten Leute ihr Wissen darüber aus, wie man sich eine Parallelidentität zulegte. Flugblätter wurden gedruckt und Webseiten programmiert, die sich gegen die Politik der Angst wendeten.
Als Simon den neuesten Bericht abgeliefert hatte, wischte er sich mit einem weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Gabriels Rede hat Wellen geschlagen, so als hätte man einen Felsbrocken in einen Teich geworfen. An manchen Stellen haben die Wogen sich geglättet. Aber das Wasser ist immer noch in Bewegung, und wir können nicht wissen, was das für die Zukunft der Welt bedeutet.«
Am Dienstagabend regnete es, und der Mittwoch wurde schwül. Als Simon am späten Nachmittag eintraf, beschloss man, im Park der Villa Borghese spazieren zu gehen. Bis zur Piazza del Popolo, einem weitläufigen Kopfsteinpflasteroval, auf dessen Mitte sich ein Obelisk erhob, brauchten sie etwa zehn Minuten. Sie überquerten den Platz und stiegen die im Zickzack verlaufenden Treppen hoch, die zu den Gärten auf dem Monte Pincio führten. Wie immer lief Alice voraus wie eine Pfadfinderin, die sie durch einen unbekannten Wald führt. Maya und Simon kamen langsam hinterher. Als sie die Treppen zur Hälfte bewältigt hatte, fing das Baby in Mayas Bauch zu strampeln an. Simon blieb öfters stehen, um auf eines der historischen Gebäude in der Ferne zu zeigen.
Die Nachhut bildete Priest, den schwarzen Schwertköcher
auf dem Rücken. Maya trug immer noch ein Messer an ihrem linken Unterarm, aber das Schwert hatte sie in einem Wandschrank in der Wohnung verstaut.
Alice kam als Erste oben an und erwartete sie auf dem Platz, von dem aus man Rom überblickte. Stellte man sich dicht an die Mauer, konnte man fast die ganze Stadt überblicken – vom Monte Mario bis zum Gianicolo. Der Staub und Smog des Spätsommertages brach das Licht, und die Kirchenkuppeln und Marmordenkmäler
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