Und dann gabs keines mehr
I
I n der Ecke des Raucherabteils erster Klasse saß Richter Wargrave, frisch pensioniert, paffte eine Zigarre und überflog mit aufmerksamem Auge die politischen Nachrichten in der Times.
Er ließ die Zeitung sinken und sah aus dem Fenster. Sie fuhren jetzt durch Somerset. Er blickte auf seine Uhr – noch zwei Stunden Fahrt.
Im Kopf ging er noch einmal alles durch, was in den Zeitungen über Nigger Island gestanden hatte. Zunächst war die Insel von einem amerikanischen Millionär gekauft worden, der verrückt auf Segeln war, und es wurde über das luxuriöse, moderne Anwesen berichtet, das er auf die kleine Insel vor der Küste Devons gebaut hatte. Der unglückliche Umstand, dass die neue, dritte Frau des Millionärs eine schlechte Seglerin war, hatte dazu geführt, dass das Haus und die Insel in der Folge erneut zum Kauf angeboten wurden. Mehrere verlockende Anzeigen erschienen in den Zeitungen. Dann folgte die erste nüchterne Mitteilung, die Insel sei gekauft worden – von einem Mr. Owen. Danach hatten die Gerüchte der Klatschjournalisten angefangen. In Wirklichkeit sei die Insel von Gabrielle Turl, dem Hollywoodstar, gekauft worden! Sie wolle dort einige Monate fern von allem Publicityrummel verbringen! Busy Bee hatte diskret angedeutet, vielleicht solle die Insel eine Zuflucht für königliche Hoheiten werden. Mr. Merryweather behauptete, ihm sei zugeflüstert worden, die Insel wäre gekauft worden, um dort Flitterwochen zu machen – der junge Lord L. habe sich endlich Amor ergeben! Jonas kannte die wahren Fakten: Die Insel sei vom Marineministerium gekauft worden, um dort hochgeheime Experimente durchzuführen!
Die Insel sorgte zweifellos für Schlagzeilen!
Richter Wargrave zog einen Brief aus seiner Tasche. Die Handschrift war nahezu unleserlich, aber hier und da stachen einzelne Worte unerwartet klar hervor. «Mein lieber Lawrence… Jahre, seit ich von Ihnen gehört habe… Sie müssen auf die Insel kommen… ein zauberhafter Ort… über so viel zu reden… alte Zeiten… Begegnung mit der Natur… Sonnenbaden… 12.40 von Paddington… treffe Sie in Oakbridge», und die Briefschreiberin hatte schwungvoll unterschrieben mit einem «Stets Ihre Constance Culmington».
Richter Wargrave ging in seiner Erinnerung zurück und fragte sich, wann genau er Lady Constance Culmington das letzte Mal gesehen hatte. Das musste sieben – nein, acht Jahre her sein. Sie war damals nach Italien gefahren, um in der Sonne zu baden und eins zu werden mit der Natur und den contadini. Danach war sie nach Syrien weitergezogen, wie er gehört hatte, wo sie plante, in einer noch heißeren Sonne zu baden und im Einklang mit der Natur und den Beduinen zu leben.
Constance Culmington, entschied er für sich, war genau die Art von Frau, die eine Insel kaufen und sich mit einem Geheimnis umgeben würde. Zufrieden mit seiner Logik, nickte Richter Wargrave zustimmend mit dem Kopf. Er gestattete sich zu nicken, einzunicken…
Er schlief…
II
Vera Claythorne saß in einem Abteil dritter Klasse mit fünf anderen Reisenden. Sie lehnte ihren Kopf zurück und schloss die Augen. Wie heiß es heute im Zug war! Es würde angenehm sein, ans Meer zu kommen! Diese Arbeit war wirklich ein Glücksfall. Wenn man eine Ferienarbeit suchte, bedeutete das fast immer, auf einen Schwarm Kinder aufzupassen – Arbeit als Sekretärin war sehr viel schwieriger zu finden. Nicht einmal die Agentur hatte ihr viel Hoffnung gemacht. Und dann war der Brief gekommen.
Ihr Name wurde mir von der «Agentur für weibliche Spitzenkräfte» genannt, und Sie wurden mir empfohlen. Ich gehe davon aus, dass Sie dort persönlich bekannt sind, und bin bereit, das von Ihnen geforderte Gehalt zu zahlen. Ich würde Sie bitten, am 8. August Ihren Dienst anzutreten. Der Zug fährt um 12.40 ab Paddington, und man wird Sie am Bahnhof Oakbridge erwarten. Beiliegend finden Sie fünf Pfundnoten für Ihre Auslagen.
Mit freundlichem Gruß
Una Nancy Owen
Oben auf der Seite war die Adresse gedruckt. Nigger Island, Sticklehaven, Devon…
Nigger Island! Die Zeitungen hatten in der letzten Zeit von nichts anderem berichtet. Alle möglichen Vermutungen und interessanten Gerüchte. Die meisten waren mit Sicherheit nicht wahr. Fest stand jedoch, dass das Haus von einem Millionär erbaut worden war, und es hieß, es sei das Nonplusultra in Sachen Luxus.
«Sportlehrerin an einer drittklassigen Schule ist wirklich nicht das Wahre», dachte Vera Claythorne, erschöpft
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