Traveler - Roman
Anschließend ging er hinauf in den zweiten Stock, um das Meeting vorzubereiten.
Nash hatte bereits dafür gesorgt, dass Lawrence den Konferenzraum betreten durfte. Als Lawrence sich der Tür näherte, wurde sein Protective Link von einem Scanner erfasst und die Tür entriegelt. Der Konferenzraum war mit einem großen Mahagonitisch, braunen Lederstühlen und einem überdimensionalen Wandbildschirm ausgestattet. Zwei Videokameras erfassten den gesamten Raum, damit auch die Bruderschaftler, die im Ausland lebten, der Diskussion folgen konnten.
Da Alkohol bei den Vorstandssitzungen tabu war, stellte Lawrence Mineralwasserflaschen und Wassergläser auf den Tisch. Seine Aufgabe bestand vor allem darin, für die technische Durchführung der Videoübertragung zu sorgen. Er ging zu dem Bedienungsfeld, das in einer Ecke des Raums installiert war, und überprüfte die Verbindung zu einer Kamera, die in einem angemieteten Büroraum in Los Angeles stand. Das Bild zeigte einen Tisch und einen leeren Stuhl. Boone würde dort vor Beginn der Konferenz Platz nehmen, um über die neuesten Entwicklungen in Sachen Corrigan-Brüder zu berichten.
In den nächsten zwanzig Minuten tauchten vier kleine Quadrate am unteren Rand des Wandbildschirms auf, und eine Anzeige auf dem Kontrollfeld signalisierte, dass Bruderschaftler aus London, Tokio, Moskau und Dubai auch an der Diskussion teilnehmen würden.
Lawrence versuchte, einen geschäftigen, pflichtbewussten Eindruck zu machen, aber er war froh, allein zu sein. Er hatte Angst und schaffte es nicht, dieses Gefühl durch eine Maske zu verbergen. Vor einer Woche hatte ihm Linden eine winzige, batteriebetriebene Videokamera geschickt, die Spider genannt wurde. Sie steckte jetzt in Lawrence’ Jacketttasche und kam ihm vor wie eine Zeitbombe, die jeden Augenblick explodieren konnte.
Er überprüfte erneut, ob die Wassergläser makellos sauber waren, und ging dann zur Tür. Ich kann es unmöglich tun, dachte er. Zu gefährlich. Aber sein Körper weigerte sich, den Raum zu verlassen. Lawrence begann, innerlich zu beten. Hilf mir, Vater. Ich bin nicht so mutig wie du .
Von einer Sekunde zur anderen besiegte seine Wut über seine Feigheit seinen Selbsterhaltungstrieb. Zuerst schaltete er die Videokameras aus, die während der Konferenz benutzt werden würden, dann beugte er sich hinunter und zog die Schuhe aus. Rasch stieg er auf einen der Stühle und dann auf den Tisch. Er schob den Spider, der einen eingebauten Magneten aufwies, in einen Lüftungsschlitz an der Decke, vergewisserte sich, dass die Miniaturkamera gut am Metall haftete, und sprang zurück auf den Boden. Fünf Sekunden waren vergangen. Acht Sekunden. Zehn Sekunden. Lawrence schaltete die beiden Kameras wieder ein und rückte die Stühle zurecht.
Als Kind und Jugendlicher wäre Lawrence niemals auf den Gedanken gekommen, dass sein Vater der japanische Harlequin Sparrow war. Seine Mutter hatte ihm erzählt, sie sei während des Studiums an der Universität von Tokio schwanger
geworden. Ihr reicher Freund habe sich geweigert, sie zu heiraten, und sie habe nicht abtreiben wollen. Statt ein uneheliches Kind in der japanischen Gesellschaft großzuziehen, emigrierte sie in die USA und ließ sich zusammen mit ihrem Sohn in Cincinnati nieder. Lawrence glaubte ihr voll und ganz. Seine Mutter brachte ihm zwar die japanische Sprache bei, dennoch verspürte er nie den Drang, nach Tokio zu fliegen und den egoistischen Kerl aufzuspüren, der eine schwangere Studentin sitzen gelassen hatte.
In seinem dritten Studienjahr starb seine Mutter an Krebs, und in einem alten, im Wandschrank versteckten Kissenbezug fand er Briefe ihrer japanischen Verwandten. Der freundliche, mitfühlende Ton der Briefe überraschte ihn. Seine Mutter hatte ihm erzählt, ihre Familie habe sie vor die Tür gesetzt, als sie von der Schwangerschaft erfuhr. Lawrence schrieb den Verwandten, und seine Tante Mayumi kam zur Beerdigung aus Japan.
Nach der Trauerfeier blieb Mayumi noch ein paar Tage, um ihrem Neffen dabei zu helfen, den Hausrat einzupacken und zur Aufbewahrung in ein Lagerhaus zu bringen. Dabei stießen sie auf Dinge, die Lawrence’ Mutter aus Japan mitgebracht hatte: einen wertvollen Kimono, ein paar Lehrbücher für ihr Studium und ein Fotoalbum.
»Das da ist deine Großmutter«, erklärte Mayumi und deutete auf eine alte Frau, die in die Kamera lächelte. Lawrence blätterte um. »Und das ist die Cousine deiner Mutter. Und das sind ihre
Weitere Kostenlose Bücher