Treibgut - 11
war es sehr einfach.
Zwischen den Gedichten befand sich eine Notiz mit Xanjidas Lösung. Um sie zu finden, hätte sie unsere Insel nie verlassen müssen, sondern auch zu Hause bleiben können, wie es der große Zendajian einst lehrte: Es ist nicht nötig, daß ich mein Haus verlasse, die ganze Welt liegt in meinem Vorgarten. Aber vielleicht hätte sie sie dort auch nicht finden können; das ist eine Frage des Blickwinkels.
Ich war beeindruckt davon, wie viele Tote es wegen dieser nutzlosen und niederschmetternden Worte gegeben hatte. Der Amran Thjemen ist einer der höchsten Berge Maraskans, vielleicht sogar der höchste, und von unten betrachtet, ist sein Gipfel der Rand der Welt, denn der Rand ist dort, wo nichts mehr folgt. Als ich die Worte hörte, mußte ich daran denken, wie ich unter dem Zauberbann gestanden und später so oft in meinen Träumen den Rabenfelsen erklommen hatte. Es war mir genauso vorgekommen.
Der Gipfel des Amran Thjemen ist kahl und im Winter bisweilen weiß. Ich habe keine Ahnung, ob man dort oben leben kann, vielleicht können es einige Menschen, aber gewiß keine zweitausend, wie die Priesterschaft plante. Sie würden verhungern. Das war also der gesuchte und prophezeite Ort. Und demnach hieß die Weissagung in den Heiligen Rollen lediglich: Borbarad wird kommen, es wird solche geben, die vor ihm fliehen, doch sie werden ins Verderben geführt werden.
Für diese Erkenntnis waren Xanjida und die anderen gestorben. Ich sah es so. Zwar waren die drei Alanfaner der Schwester begegnet, weil sie mir gefolgt waren, aber sie hatten mich zu Tarrad geführt, ohne den ich nicht nach Kuslik und dann nach Salza gekommen wäre. Die fünf in Kuslik waren unnötig gewesen, vielleicht hatte nur meine Anwesenheit sie verleitet, diesen Versuch mit mir anzustellen. Es ging weiter mit den vieren in Nostria, weil Ishajid das richtige Gewand trug, und endete mit Tommelians Bruder, der etwas rauben wollte, das er nie verstanden hatte, Tommelian selbst, der über sich bestimmen ließ, seinen beiden Leuten, weil ich Türen hinter mir verschließe, und Ishajid, weil sie von Anfang an zu viele Fehler begangen hatte.
Man drückt keiner Toten die Augen zu, die nur noch eins hat, und man stimmt nicht ein, wenn jemand sagt, sie habe Augen wie Emeralde gehabt, wenn nur noch ein braunes Auge in einem verstümmelten Gesicht übrig ist. Sie hatte Querinia nie gesehen und hätte darauf hören sollen, als ich sagte, ich wolle sie nicht bei mir haben.
Allerdings ahnte ich in Neetha noch nicht, was sie war, auch Milhibethjida mochte ihre Konkurrentinnen haben. Erst in Kuslik kam mir der Gedanke zum ersten Mal. Ich habe genug Tote gesehen, um mich nicht zu wundern, wenn jemand genau zur richtigen Zeit stirbt, doch scheinbar völlig ohne Grund. Dieses Rätsel beschäftigte mich während der nachfolgenden Tage, und mir fiel erst in dem Augenblick ein, wessen Eigenart diese versteckte Art des Tötens war, als ich den Burschen vor das Fuhrwerk stieß, zusammen mit einer Äußerung Ishajids: ›Er mindert nicht mehr die Schönheit der Welt.‹
Ich wehrte mich anfänglich dagegen, es zu glauben, doch von da an achtete ich auf sie. Alles paßte zusammen. Vielleicht hätte sie mich abermals täuschen können, wenn sie nicht darauf bestanden hätte, ganz allein und ohne Hilfe Tommelians Leute erschlagen zu haben. König Dajin hatte derartiges vollbracht, aber Dajin war Dajin. Doch Ishajid war sich so sicher! Sie müssen uns sehr verachten.
Ich war losgezogen im Auftrage Milhibethjidas und stieß auf das, was Xanjida herausgefunden hatte. Ich hätte zurückkehren können nach Tuzak, um zu verkünden: ›Die Suche ist zu Ende, der Ort ist gefunden.‹ Doch statt dessen würde ich heimkehren, um Milhibethjida zu sagen, daß die Hoffnung auf Rettung ein Irrglaube war, und um dem Zweiten Finger zu berichten: ›Wir sind einer Täuschung erlegen. Die Zaboroniten werden nie völlig von uns vernichtet werden, es gibt sie immer noch, sie haben die Zeit überdauert.‹ Der Zweite Finger nähme es zur Kenntnis und würde uns befehlen, sie aufzuspüren und zu töten, um endlich zu Ende bringen, was vor zwei Jahrhunderten begonnen hatte.
Ich saß vielleicht zwei Stunden auf dem unbequemen Stühlchen vor dem Sekretär, sah zum Fenster hinaus und dachte darüber nach, warum ich Ishajid nicht einfach befragt hatte. Es wäre mir möglich gewesen, mit einem Zauber die Wahrheit aus ihr herauszuholen, und eventuell mittels eines weiteren dafür zu
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