Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Prolog
D ie seltsame Geschichte der Familie Ventnor begann mit einem Verräter, und es sollte ein gutes Jahrhundert dauern, bis sie ein Ende fand. Die Ventnors waren von überwiegend normannischem Blut und so überzeugt von sich, dass sie kaum außerhalb ihrer Familie heirateten. Auch Mathilde Ventnor war keine Ausnahme. Im fortgeschrittenen Alter von fünfzehn Jahren heiratete sie pflichtbewusst ihren Cousin zweiten Grades, den dritten Duke of Warneham, und gebar ihm in den nächsten Jahren eine so außerordentliche Zahl an Kindern, dass selbst die Ventnors beeindruckt waren.
Alles war in Ordnung bis zu einem kalten Novembertag im Jahre 1688, als der Duke, bekannt als überzeugter Königstreuer, die wohlüberlegte Entscheidung traf, seinen König und – je nachdem, wen man fragte – sein Land zu verraten. Eine verfluchte Rebellion drohte, und der König stand kurz davor, von den Protestanten verdrängt zu werden, die ihm seit seiner umstrittenen Krönung im Nacken saßen. Die Ventnors waren keine Katholiken, sondern gottesfürchtige Opportunisten, die der Lehre der unverfrorenen Anmaßung anhingen. In Anbetracht der Lage floh der Duke nach Salisbury – viele andere von höherem und niedrigerem Rang als er waren ihm bereits vorausgegangen – und schlug sich auf die andere Seite. Die Seite der Gewinner.
Warneham hatte viel, für das zu leben es sich lohnte. Seine Besitzungen gehörten zu den größten Englands, obwohl deren Bestand in der Familie nicht gesichert war. Trotz ihrer bemerkenswerten Fruchtbarkeit hatte Mathilde bislang das Pech gehabt, ausschließlich Töchter zur Welt zu bringen – sechs an der Zahl, jede von ihnen auffallend hübsch. Und jede vollkommen nutzlos. Warneham brauchte einen Sohn, und er brauchte einen Sieg.
Moralisch überzeugt von seiner Entscheidung führte der Duke die Gruppe der Abtrünnigen an, erklomm ein laubübersätes Hügelchen und erblickte mit Erleichterung das Banner William von Oraniens, das in der Brise flatterte. Daneben standen Williams edle Anhänger, riefen laut Warnehams Namen und winkten ihm, zu ihnen zu kommen. Der Duke war so dankbar für das herzliche Willkommen, dass er die Gräben nicht sah, die eifrige Füchse nahe des Fußes des grasbewachsenen Hügels gegraben hatten. Von Warnehams Sporen zum gestreckten Galopp angetrieben, verfing sich sein Pferd in einem der tiefen Erdlöcher und strauchelte. Der Duke landete kopfüber auf dem Lagerplatz, schlug mit dem Schädel auf, brach sich das Genick und tat somit seinen letzten Atemzug im Dienste seines neuen Königs.
Englands Glorious Revolution endete fast so schnell, wie Warneham der Tod ereilte. Wilhelm von Oranien errang einen leichten Sieg, König James floh nach Frankreich, und auf den Tag genau neun Monate später gebar Mathilde Zwillinge – beides kräftige, muntere Knaben. Niemand jedoch wagte es, darauf hinzuweisen, dass die Jungen sich nicht im Entferntesten ähnelten. War der ältere eine Miniaturausgabe seiner Mutter, ein rosiger, pummeliger Cherub, so war der zweitgeborene ein knochiges Geschöpf mit langen Beinen und einem blonden Haarschopf. Beide hatten immerhin eins gemeinsam: Sie ähnelten nicht einmal im Entferntesten dem Vater. Nein, es war ein Wunder. Ein Glücksfall.
König William und Queen Mary bestimmten, dass die Säuglinge an ihren Hof gebracht wurden, wo der König höchstselbst verkündete, dass beide Söhne dem toten Duke wie aus dem Gesicht geschnitten seien. Niemand wagte zu widersprechen, weil – nun, weil dies eine romantische Liebesgeschichte ist. Und was wäre eine Liebesgeschichte ohne einen Hauch Dramatik und eine Prise Verrat?
Warnehams erstgeborenem Sohn sicherte König William den Herzogtitel zu, dem jüngeren versprach er den Befehl über ein Regiment – und nicht nur ihm, sondern auch all seinen Nachkommen, die folgen würden. Alles als Ausdruck der Anerkennung für die Tapferkeit seines Vaters. Mit dieser Entscheidung, so sagt es die Chronik, wurde die Spaltung der Familie auf ewig festgelegt und ihr Schicksal vorbestimmt.
Der Junge, der jetzt in der Mitte der riesigen Bibliothek Warnehams stand, war sich dieser Geschichte nur allzu bewusst. Nachdem mehr als zweihundert Jahre seit den genannten Ereignissen vergangen waren, stellte die Teilung der Familie nicht nur eine Spaltung, sondern genau genommen einen unüberbrückbaren Abgrund dar. Und im nächsten Moment würde sich der Junge auch noch übergeben müssen. Auf die Schuhe der Duchess.
»Steh gerade,
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