Treibhaus der Träume
Gegenteil von Marianne Steegert. Ihre pechschwarzen Haare hatte sie hochgesteckt. Dadurch wirkte ihr südländisches Gesicht noch exotischer, unterstrichen durch die leicht geschlitzten Augen und hohen Jochbeine. Sie war groß, sehr schlank und feingliedrig, ein herrliches, stolzes Tier, wie sie einmal jemand genannt hatte, der sie lieben durfte, bis es ihr zu langweilig wurde und sie ihn mit einem kalten Lächeln wegstieß. Das Dirndl, das sie oft trug, wirkte fremd an ihr und doch wieder aufreizend. Sie hätte an den Strand von Copacabana oder den Bahamas eher hingepaßt, als hier in diese idyllische Berglandschaft, und auch dort hätte man sich nach ihr umgedreht und durch die Zähne gepfiffen.
Marianne und Ilse kannten sich von der Kosmetikschule. Beide hatten sie Väter, die nicht eine Mark umzudrehen brauchten, um sich der Illusion hinzugeben, es wären zwei. Das Vermögen ihrer Väter erlaubte es ihnen, nach der Prüfung als Diplom-Kosmetikerin hier bei St. Hubert eine Schönheitsfarm nach dem Muster der amerikanischen Kosmetik-Kliniken aufzumachen. Ihre Freundschaft war tief, trotz ihres verschiedenen Wesens und Aussehens. Die Almfried-Sisters nannte man sie in St. Hubert. Sie bauten gemeinsam die Farm auf, sie leiteten den jetzt umfangreichen Betrieb mit Umsicht und Geschäftssinn, und ab und zu verliebten sie sich in die gleichen Männer. War das der Fall, so verzichteten beide. »Ein Mann ist nicht wert, uns auseinanderzubringen«, sagte Ilse Patz. »Überhaupt die Männer!«
Sie hatten beide eigene Ansichten über diese Menschengattung. Was sie täglich von Patientinnen hörten, war nicht immer das beste. Die einen Männer waren Tyrannen, die anderen Waschlappen. Die einen betrogen ihre Frauen, die anderen merkten nicht, daß sie von ihren Frauen betrogen wurden. Geld hatten sie alle, und das war ihre wahre Geliebte. Statt eines Herzens klopfte ein Geldsack unter ihren Rippen.
Das waren die Alten. Die Ehemänner. Die Wirtschaftskrüppel. Und die Jungen? Es lohnte sich nicht, darüber zu sprechen. Marianne Steegert und Ilse Patz waren viel zu klug, um sich vom Geschwätz dieser Spezies Mann einlullen zu lassen.
Was blieb also noch? – Es ist einfach trostlos mit den Männern!
Und nun begann Marianne, auf den Briefträger zu warten und unterdrückte ein Zittern, wenn das Telefon schellte und sie den Hörer abhob. Auch jetzt saßen Marianne und Ilse auf einer der kleinen Balkonterrassen und sonnten sich. Im Hause war Ruhe. Mittagsruhe. Aber um diese Zeit kam immer der Briefträger von St. Hubert herauf, mit einem knatternden Moped. Und wie immer in den letzten Tagen lag Marianne nahe am Balkongitter und schaute durch die geschnitzten Stäbe auf die Landstraße. Sah sie die Staubwolke am Bach, wurde sie unruhig.
»Er schreibt nicht. Der schreibt nie«, sagte Ilse Patz. Sie dehnte den herrlich braunen Körper in der Sonne. Völlig nackt lag sie auf dem Liegestuhl. Ihre Haut glänzte. Hier konnte sie niemand sehen. Unter dem vorgezogenen Dach und hinter dem Balkongitter lag sie wie in einer Muschel. »Ein so berühmter Arzt. Der hat dich schon vergessen, als er vor dem Kölner Dom stand.«
Marianne, in einem winzigen rotkarierten Bikini, richtete sich auf und schob den breiten Sonnenhut in die Stirn. Gleich am nächsten Tag, als der Kurarzt von St. Hubert ihren Fuß in eine Gipswanne legte, hatte sie sich von ihm zwei Jahresbände der ›Medizinischen Praxis‹ geliehen. Zu Hause hatte sie Zeit genug, die Zeitschrift durchzublättern. Vier Artikel waren von Dr. Lorentzen.
Das Problem der Lippenrotüberpflanzung.
Von Dr. L. Lorentzen, Oberarzt der I. Chirurgischen Klinik Prof. Dr. Heberach, Hamburg.
Marianne hatte alle vier Artikel gelesen, ohne viel davon zu verstehen. Sie hatte nur eins erkannt: Der stille, etwas ironische Mann, der ihren verstauchten Knöchel mit Kognak und Zwetschgenwasser gekühlt hatte, war ein großer Chirurg. Und noch größer wurde jetzt das Rätsel um ihn. Er hatte Hamburg verlassen. In Köln erwartete ihn niemand. Ich komme nach Köln wie Kolumbus nach Amerika … so ähnlich hatte er gesagt. Und es klang so bitter, so ganz ohne Freude oder Hoffnung.
Es waren Gedanken, die Marianne nicht mehr losließen. Als sie zu quälend wurden, rief sie kurzentschlossen die I. Chirurgische Klinik in Hamburg an. Nach vielem Herumfragen kam ein Oberarzt ans Telefon.
»Dr. Lorentzen?« fragte dieser gedehnt. »Nicht bei uns. Nicht mehr. Wohin er gegangen ist? Gnädige Frau, damit bin ich
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