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Als könnt' ich fliegen

Als könnt' ich fliegen

Titel: Als könnt' ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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    3. August, Samstag
    Umzug geschafft! Zum Glück habe ich noch zwei Wochen Ferien. Das neue Haus ist nicht übel. Jedenfalls nicht schlechter als das alte. Und die Stadt hier scheint auch ganz okay.
    Heute war ich lange am Meer. Es riecht irre, zugleich nach Wasser und nach Land. Und die Luft schmeckt salzig. In einer Drogerie hab ich einen süßen Typen gesehen, wir haben uns angelächelt. Als er mein Bein gesehen hat, hat er ein blödes Gesicht gemacht – wie alle. Aber das kenn ich ja.
    »Herzlichen Glückwunsch!« Marcos Grinsen war so blöd wie immer. Ich sagte nichts.
    »Tu bloß nicht so.« Er grinste weiter. Wir radelten zur Schule. Es war ein warmer Sommermorgen, es nieselte.
    »Wie ist sie so?«, bohrte er nach. Langsam dämmerte es mir. Er sprach von Nadine. Aber wie konnte er wissen …
    »Leck mich am Arsch«, sagte ich so ruhig wie möglich.
    »Apropos, ihrer ist echt der Hammer!« Sein Grinsen wurde breiter.
    Ich konnte nicht anders und holte mit einer kurzen Bewegung aus. Aber im letzten Moment wich er aus, mein Schwinger sauste durch die Luft, und fast hätte ich mich lang hingelegt. Marco lachte laut. Blitzschnell trat er in die Pedale, und ich sah nur noch sein Rücklicht. Ich konnte ihn nicht ausstehen, aber in einer Hinsicht hatte er Recht: Nadine war der Hammer, alle waren hinter ihr her. Und ausgerechnet ich, Tobias Wagner, war jetzt mit ihr zusammen. Jedenfalls fast. Nachdem wir gestern Abend mit dem Knutschen fertig waren, hatte sie gesagt, wir sollten uns unbedingt wieder treffen. Das war einerseits cool, andererseits beunruhigte es mich.
    Nadine war ein halbes Jahr jünger als ich, also noch keine sechzehn. Aber nachweisbar hatte sie schon mehrere Freunde gehabt, die so um die zwanzig waren. Und mit denen hatte sie garantiert nicht nur Händchen gehalten. Wenn ich mich nicht total blamieren wollte, gab es genau zwei Möglichkeiten: Entweder ich durfte mir nichts anmerken lassen, oder ich musste ganz schnell einen guten Grund finden, Schluss zu machen.
    »Quatsch!«, sagte ich zu Björn. »Kein Mensch würde mit einer wie Nadine Schluss machen. Auch ich nicht. Du bist nur eifersüchtig.«
    Ich wusste, dass das nicht stimmte. Björn war seit Kindergartentagen mein bester Freund. Wenn er sagte, dass Nadine nicht zu mir passte, dann meinte er das auch.
    »Was sollst du denn in ihrer Sammlung darstellen?«, stöhnte er genervt. »Den kleinen Blödmann?«
    Dass wir oft unausgesprochen dieselben Gedanken hatten, war ein Markenzeichen unserer Freundschaft. Aber diesmal ging er mir auf den Zeiger.
    »Ich brauch noch Präsers«, sagte ich so gelassen wie möglich.
    »So weit schon?« Björn glaubte mir nicht.
    »Wenn wir uns das nächste Mal treffen«, meinte ich, »kann alles Mögliche passieren.«
    »Und wann trefft ihr euch das nächste Mal?«
    »Irgendwann«, murmelte ich kleinlaut.
    Ich schaffte es nicht, ihm etwas vorzumachen. Sonst hätte ich in diesem Augenblick nicht ganz so blöd dagestanden.
    Die Frau an der Kasse drehte das Päckchen ungefähr zweiunddreißigmal hin und her. Angeblich fand sie die Markierungsstreifen zum Einscannen nicht. Ihre Blicke durchbohrten mich, sie sagte kein Wort. Keiner sagte ein Wort. Eine tausendäugige schweigende Schlange hatte sich hinter mir gebildet, deren Blicke ich nicht erwiderte. Mittlerweile bereute ich zutiefst, gleich zur Maxipackung gegriffen zu haben. Aber imagemäßig hatte ich bei Björn einiges gutzumachen.
    Mit starrem Finger wies die Kassiererin auf die kleinen grünen Zahlen, die endlich den fälligen Betrag anzeigten. Ich kratzte alles Geld aus meinen Taschen zusammen. Mir fehlten zwei Cent.
    »Könnten Sie nicht eine Ausnahme machen?«, fragte ich mit rauer Stimme.
    »Ausgeschlossen!« Aus ihren Augen flogen Dolche.
    »In einer Minute haben Sie das Geld. Ich muss nur eben …«
    »Jetzt!«, befahl sie. »Oder du stellst die Dinger zurück.« Die Leute in der Schlange waren mucksmäuschenstill. Das Gesicht der Kassiererin überzog sich mit roten Flecken. Sie machte eine Handbewegung, als wollte sie eine Fliege verscheuchen. Die Fliege war ich. Jetzt aber war auch die Fliege genervt. Ich holte aus zum Befreiungsschlag.
    »Und das im Zeitalter von Aids!«, sagte ich laut. In der Schlange kicherte es. Ich hielt die Packung Kondome in die Luft und sah mich herausfordernd um. Alle starrten mich an. Ich war zum Mahnmal geworden gegen Intoleranz und HIV . Jetzt sah ich, wer gekichert hatte. Ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter. Sie war

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