Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
fragend.
Sackowitz kam sich ungeschickt vor.
Jetzt stell dich nicht so an. Früher hat dir das auch keine Probleme bereitet.
Früher – wie das klang! Als wäre seitdem eine Ewigkeit vergangen. Aber auch seine Gedanken konnten ihm in dieser Situation nicht helfen: Ihm fehlten schlichtweg die Worte.
Los doch! Oder soll die ganze Warterei umsonst gewesen sein?
»Sie sind nicht das erste Mal hier«, hörte er sich endlich sagen.
»Tatsächlich?«
»Ja, Sie waren schon öfter hier. Und immer haben Sie an Tisch 141 gesessen.«
»Das ist Ihnen aufgefallen?«
Er beugte seinen Oberkörper vor, hielt aber in der Bewegung inne, bevor er zu aufdringlich wirkte. »Nicht es, Sie
sind mir aufgefallen.«
Sie errötete.
Er reichte ihr seinen Arm. »Darf ich bitten?«
»Das ist aber …«
»… ungewöhnlich, ich weiß«, gestand er und lächelte sie so einnehmend an, wie es seine dritten Zähne hergaben. Jetzt fühlte er sich wieder auf sicherem Boden und war froh, den guten Anzug gewählt zu haben. »Aber Sie würden mich zu einem glücklichen Menschen machen.«
Sie kicherte vor Vergnügen. »Sie übertreiben.« Dann legte sie die Handtasche beiseite und hakte sich bei ihm unter. Sackowitz führte sie auf die Tanzfläche. Die Band spielte:
Wenn nicht heute
,
wann denn dann?
Wenn das mal kein gutes Omen war?
»Ich heiße Harald.« Er umfasste selbstbewusst ihre Hand und Hüfte. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
»Meine Name ist Magda.«
Galant verbeugte er sich vor ihr. »Magda, es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er nahm Haltung an, dann schwang er sein Bein und Magda zum Disco-Schlager-Fox über das Parkett, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht.
8
»Und? Ist es so, wie du dir es vorgestellt hast?«, fragte Berger, als sie schon unterwegs waren.
»Im Prinzip schon.« Kalkbrenner zählte die Dönerbuden, an denen sie beim Schlesischen Tor vorbeifuhren. »Günstiger Altbau, ruhige Lage.«
Sein Kollege brummelte, als überzeugte ihn die Antwort nicht. »Und im Hotel war’s nicht ruhig?«
»Im Hotel? Jetzt fang du nicht auch noch damit an. Das war doch wohl eher eine Absteige. Wie der ganze Rest von Westberlin war das Haus unsaniert. Das Zimmer war so hellhörig, dass ich mich manchmal gefragt habe, wozu es überhaupt Wände hatte. Im Nachbarzimmer plärrte abends auf Stadionlautstärke ein Fernseher, und im Raum über mir stritt sich jede Nacht ein Ehepaar – knallende Türen inklusive.«
»Und in deiner neuen Wohnung?«
»Da gibt es über mir nur den Dachboden.«
»Keine Wohnungen geplant?«
»Na ja, die Maklerin hat mir bei der Besichtigung jedenfalls versichert, der Dachboden werde nicht ausgebaut. Es ist der Eigentümergemeinschaft zu teuer, Gott sei Dank.«
Berger zwirbelte nachdenklich seine Bartspitzen. »Kaum zu glauben, oder?«
Jahrelang war Berlin die Antithese einer Großstadt gewesen: überall Brachen, nur wenige große Unternehmen, kaum Investitionen, niedrige Mieten. Mitten in der Innenstadt hatten Unternehmensberater neben Sozialhilfeempfängern gewohnt. Doch dieses Berlin existierte nicht mehr.
»Inzwischen bleibt doch kein Quadratmeter in Berlin mehr ungenutzt«, meinte Berger. »Überall entstehen Wohnungen und Apartments, und das möglichst teuer. Die Grundstückspreise verdoppeln sich, Makler, Vermieter und Investoren tun fast so, als wäre die Stadt inzwischen das Maß aller Dinge. In meinen Augen ist das ein … ähm, wie sagt man noch gleich?«
»Hype?«
»Ja, genau, ein Hype ist das. Das sagt auch meine Tochter.« Berger hieb mit der flachen Hand vergrätzt aufs Lenkrad. »Der haben sie, mir nichts, dir nichts, einen Neubau in den Hinterhof gesetzt. Kannst du dir das vorstellen? Vor Kurzem war da noch ein Garten, in dem Eltern mit ihren Kindern gespielt haben, und jetzt ist da diese riesige Baustelle.«
Sie kamen an der orientalisch anmutenden Fassade eines indischen Restaurants vorbei. Schon allein der Anblick ließ Kalkbrenners knurrenden Magen aufheulen, aber Berger machte keinerlei Anstalten, einen Zwischenstopp einzulegen, obwohl sich der Kreuzberger Verkehr zum Feierabend nicht anders präsentierte als in den anderen Stadtteilen, in einem Wort: zähflüssig. »Nicht schön.«
»Nein, ganz und gar nicht schön. Ausgerechnet in einer Zeit, in der sie Ruhe braucht. Sie schreibt gerade an ihrer Diplomarbeit in Geophysik, habe ich dir das schon erzählt? Und sie ist extra in dieses Haus gezogen, weil die Wohnung so ruhig war.« Berger setzte
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