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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Bürgersteig entlangschlenderte. Bei einem der fliegenden Händler erstand er eine Grillwurst. Obwohl es der gleiche Verkäufer wie am Abend seiner Ankunft war, wurde Tabori nicht von ihm erkannt. Diesmal konnte der Junge seinem Wunsch immerhin problemlos Ausdruck verleihen, sodass er ohne Komplikationen seine Wurst auf einer Pappschale mit Weißbrot erhielt – und mit ganz viel Ketchup.
    Munter mampfend spazierte er die Straße entlang. Erneut fielen ihm die leuchtenden Farben der Kleidung in den Schaufenstern auf. Besonders ein schwarzes Kapuzenshirt mit grellem Berlin-Aufdruck tat es ihm an. Wenn Tabori damit nach Gracen zurückkehrte, würden die Jungs in seiner Klasse vor Neid erblassen – und Gentiana würde mächtig stolz auf ihn sein. Er befühlte die Geldscheine in seiner Hosentasche. Ludwig hatte es ihm ausdrücklich erlaubt.
    Staunend betrat er den Laden und ging auf die Regale mit den Hosen und Hemden zu.
    »Kann ich dir helfen?«, fragte eine junge Frau mit langen braunen Haaren, an der Tabori sofort ihre goldenen Ohrringe auffielen. Wie sie wohl an Gentiana ausschauen mochten? Ganz bestimmt wunderbar. Er deutete auf den Schmuck. »Ich finde das schön.«
    »Aha«, gab die Verkäuferin verwundert von sich.
    »Wie viel kostet das?«
    »Nee, die kannst du nicht kaufen. Sind meine.«
    »Wo … gekauft?«
    »Weiß ich doch nicht mehr.«
    »Aber ich will das kaufen.«
    »Dann schau mal bei
H&M
nebenan. Da haben sie Ohrringe.«
    »Ohrringe?«
    »Ja, und noch ganz viel anderen Plunder!«
    »Plunder?«
    »Sag mal, willst du mich verarschen?«
    Tabori hatte die aggressiver werdende Stimme der Frau bemerkt und beeilte sich, in den nächsten Laden zu kommen. Er hatte gerade die Ohrringe, den Plunder, wie die Verkäuferin ihn genannt hatte,
entdeckt, als eine vertraute Stimme hinter ihm auf Albanisch fragte: »Ist das Tokio Hotel? Oder nur Tabori?«

91
    »Meine Sekretärin sagte mir, Sie seien von der Kriminalpolizei und wollen zu Herrn Sackowitz?« Der gepflegte, große Mann im Anzug, der ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt sein mochte, stemmte beide Hände in die Hüften. »Hat er etwas ausgefressen?«
    Er lächelte bemüht, als würde es ihn nicht überraschen, wenn die Antwort positiv ausfiele. Kalkbrenner wertete dies als ein gutes Zeichen und stellte sich und Sera Muth vor.
    Schlagartig hellte sich das Gesicht von Stanislaw Bodkema, dem Chefredakteur des
Berliner Kurier
,
auf. Erfreut schüttelte er ihnen die Hände. »Herr Kalkbrenner, das freut mich! Ich habe schon einiges von Ihnen gehört. Die Sache letzten Herbst im Untergrund, diese Story, die Sie Herrn Sackowitz verschafft haben – alle Achtung!«
    Auch diese Reaktion ließ den Ermittler auf eine ergiebige Unterredung hoffen.
    »Haben Sie etwa wieder eine Story für uns?«
    »Ich hatte eigentlich gehofft, dass Herr Sackowitz diesmal eine für mich hat.«
    Bodkemas Lächeln gefror. »Wie darf ich das verstehen?«
    »War nur ein Scherz.«
    »Ach so.« Der Chefredakteur ging wieder hörbar auf Distanz. »Und was verschlägt Sie jetzt tatsächlich zu uns?«
    Kalkbrenner wog seine Worte sorgfältig ab.
Bloß nicht noch mehr Schlagzeilen fabrizieren.
»Wie ich schon sagte, hätten wir uns gerne mit Herrn Sackowitz unterhalten.«
    Bodkema verzog das Gesicht und seufzte. »Das tut mir leid. Sein Platz ist leer. Er ist nicht da.« Doch seine Neugier, wichtigste Voraussetzung für seinen Beruf, war noch immer nicht erloschen. Den meisten späteren Journalisten wurde sie bereits mit der Muttermilch eingeflößt – und nie mehr ausgeschieden. »Kann ich
Ihnen möglicherweise weiterhelfen?«
    Kalkbrenner schaute sich um. Drei Viertel der Redaktionsschreibtische im Großraumbüro waren unbesetzt. Nur vereinzelt hockten Redakteure hinter ihren Rechnern. Von Sackowitz war nichts zu sehen. »Ist nicht sehr viel los heute«, stellte er fest.
    »Es ist Wochenende, und sonntags erscheinen wir nicht. Deshalb fahren wir samstags nur mit halber Kraft.«
    »Und wer entscheidet, wer samstags Dienst schiebt und wer nicht?«
    »Das funktioniert nach dem einfachen Rotationsprinzip.«
    »Hätte Herr Sackowitz denn heute Dienst?«
    Der Chefredakteur zog die Augenbrauen zusammen. »Herr Kalkbrenner, jetzt aber mal ehrlich: Sie sind Beamter der Mordkommission und ganz sicher nicht gekommen, um sich mit Herrn Sackowitz über seinen Dienstplan auszutauschen.«
    »Ich wollte eigentlich nur wissen, ob er heute noch erwartet wird.«
    »Und warum fragen Sie das nicht

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