Trieb
ja«, hörte er Bodkema sagen.
90
Ludwig hatte ihm zwar aufgetragen, er solle das Geschirr und alles andere stehen lassen, aber Aufräumen war doch das Mindeste, was Tabori für seinen Gastgeber tun konnte. Während ein Video von Britney Spears über den Fernsehschirm flimmerte, stellte er Marmelade, Butter, den Aufschnitt und den Käse in den Kühlschrank, der bis zum Rand mit Joghurt und Quark in bunten Plastikbechern gefüllt war, die obendrein Sammelbilder zu enthalten schienen. Selbst der Käse war mit Comicfolien umwickelt. Tabori grinste bei der Entdeckung.
Der Bass von Scooter wummerte energiegeladen aus den Lautsprechern. Die Techno-Band war keine von Taboris Lieblingsgruppen, aber die Musik fand er trotzdem lustig. Er drehte den Fernsehton lauter und tanzte zur Morgenwäsche ins Bad. Die Bilder in der Diele zeigten lange Sandstrände, an denen sich die weißschaumigen Wellen brachen. Der Himmel strahlte blau, die Sonne glitzerte im Meer. Ob Ludwig die Fotos selbst gemacht hatte?
Neben dem Badezimmer stand die Tür zu Ludwigs Schlafzimmer einen Spaltbreit offen. Tabori zögerte, dann aber dachte er an Ludwigs Worte:
Fühl dich wie zu Hause.
Auf dem Bett war eine braune Tagesdecke ausgebreitet worden. In einem Fach vom Nachtschränkchen lag ein Fotoapparat. Jetzt war Tabori überzeugt davon, dass die Bilder von Ludwig waren. Er war zwar kein guter Sänger und Tänzer, aber fotografieren konnte er anscheinend. Am Abend würde Tabori ihn um ein Erinnerungsfoto bitten. Dann könnte er nach seiner Heimkehr das Bild seiner Mutter zeigen und erzählen, dass Ludwig es gewesen war, der ihm in Berlin geholfen hatte.
Dem Bett gegenüber nahm ein riesiger Kleiderschrank die gesamte Breite der Wand ein. Tabori posierte vor den Spiegeltüren. Zwar war ihm der Jogginganzug an den Beinen eine Nummer zu groß, aber er hatte noch nie zuvor einen besessen. Er fand, dass er gut darin aussah. Was wohl Gentiana dazu sagen würde?
Aus der Küche plärrte jetzt Eminem:
Now I’m gonna make you dance. It’s your chance. Yeah boy
,
shake that ass.
Tabori streckte den Arm aus, als würde er ein Mikrofon in der Hand halten. Mit den Füßen wippte er im Takt der Hip-Hop-Musik:
Well I’m sorry. I don’t remember. All I know is this much. I’m not guilty.
Irgendwie schaute er nicht gerade aus wie Eminem, aber ganz sicher besser als der ungelenke Ludwig.
Auch im Schlafzimmer hingen große Landschaftsaufnahmen an den nicht zugestellten Wänden. Fotos von Fritz entdeckte Tabori nicht. Wahrscheinlich stimmten die Ludwig nur traurig. Auch Taboris Mutter hatte im Haus keine Bilder von seinem Vater nach dessen Tod aufbewahrt.
Nach einer fixen Katzenwäsche im Badezimmer machte Tabori den Fernseher aus und beschäftigte sich mit der PlayStation in Fritz’ Zimmer. Es musste toll sein, wenn man seine eigene Konsole besaß, mit der man zu jeder Zeit spielen konnte, selbst wenn die Geschäfte längst geschlossen hatten.
Fritz schien einen ganzen Haufen Spiele zu besitzen. Auch
Street Soccer
war darunter
.
Im Single-Modus kämpfte Tabori gegen den Computer, verlor aber zwei Niederlagen später die Lust und schaltete die Konsole aus. Es war still in der Wohnung. Nur das monotone Ticken der Uhr in der Diele war zu hören. Tabori fläzte sich aufs Bett, fühlte sich aber seltsam dabei. Irgendwie fremd. Kein Wunder: Es war eben nicht sein eigenes Zimmer. Es gehörte Fritz, der es nicht einmal benutzte.
Er ging an den Kühlschrank in der Küche und nahm sich einen Joghurt. Aber eigentlich hatte er gar keinen Hunger. Er stellte ihn wieder zurück und knipste stattdessen den Fernseher ein. Aber auch jetzt kehrte nach einigen Minuten das Unwohlsein zurück. Er vergeudete hier nur seine Zeit. Unruhig stand er auf.
Aus der Fülle von Fritz’ Kleiderschrank wählte er eine Jeans, einen warmen Pullover und eine noch dickere Daunenjacke. Die Hose war ihm wieder zu groß, das Oberteil zwickte ihm erneut unter den Achseln. Immerhin passten die Handschuhe, die er noch fand, wie angegossen.
Draußen war es kalt, aber es schien wenigstens die Sonne. Tabori folgte dem vom Schnee befreiten Gehweg zur U-Bahn-Station, wo er den Streckenplan studierte. Er fand den Bahnhof Zoologischer Garten
.
Hier war er angekommen. Im Grunde war der Plan gar nicht so kompliziert, wie er befürchtet hatte. Mit ein bisschen Anstrengung würde er sich in Berlin zurechtfinden können.
Die Gegend um den Bahnhof Zoo herum erkannte er auf Anhieb wieder, als er den breiten
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