Trieb
nicht zu Ende, denn ihm fällt die Gestalt auf, die hinter Dossantos in der Diele wartet. Ihr Anblick ist schon schlimm genug. Aber noch furchterregender ist das, was sie in der Hand hält.
»Verfickte Scheiße«, entfährt es Toni und er fragt sich:
Wieso ich? Warum immer ich?
~
Caro schreit und schließt die Augen.
Aber der Schmerz bleibt aus. Vorsichtig hebt sie die Lider. Die Klinge schwebt wenige Millimeter vor ihren Augen.
»Wo ist Markus?«, fragt der Mann im Anzug.
Er stellt die Frage nicht zum ersten Mal. Auch Ilanka hat ihr diese Frage gestellt, vorhin als sie noch lebte, kurz nachdem die Männer sie in den Raum getrieben hatten, nackt und mit Blutergüssen übersät. Ihr rechtes Auge war zugeschwollen, ihre Unterlippe aufgeplatzt. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten.
»Ilanka«, sagte der Mann.
Es dauerte einige Sekunden, bis Ilanka reagierte.
»Rede du mit ihr.«
Ilanka drehte sich zu Caro um. »Du musst …«, spuckte sie mit einer Blase Speichel und Blut hervor, »du musst ihnen sagen, wo Markus ist.«
Caro schüttelte den Kopf. »Ich kenne keinen …«
Sie ließen sie nicht ausreden. Sie packten Ilanka, rissen ihr Gesicht herum, setzten ihr das Messer an die Kehle und …
Die Bilder der sterbenden Frau wollen Caro nicht aus dem Kopf gehen. Tränen lösen sich aus ihren Augen.
»Ich kenne keinen Markus«, wiederholt sie leise und dreht sich zur Seite, in Erwartung des Messerstichs, der auch ihrem Leben ein Ende setzen wird.
Aus dem Augenwinkel sieht Caro den Mann im Anzug nicken und für einen Moment wagt sie zu hoffen, dass er seinen Irrtum erkannt hat. Wen immer er sucht, er hat die Falsche erwischt. Er wird sie wieder frei lassen und …
Und was?
Er wird sie nicht freilassen, natürlich nicht. Aber was dann?
Caro dreht sich zu den Männern um. Zu ihrer Überraschung gehen sie zur Tür. Sie verlassen den Raum. Die Tür knallt hinter ihnen ins Schloss. Ein Schlüssel verriegelt es.
Caro ist alleine. Alleine mit Ilanka, deren tote Augen sie anstarren, als quäle sie wie Caro nur eine einzige Frage:
Warum? Wieso geschieht dies mit mir?
Vorgestern Abend
Kapitel 1
Hannah verlor allmählich die Geduld.
Erst vor anderthalb Stunden, also kurz bevor sie losgefahren waren, hatte sie Millie gestillt. Dennoch strampelte die Kleine unruhig in ihrer Babyschale auf der Rückbank des Van. Immer wieder spie sie den Schnuller aus und schrie, was ihre fünf Monate alten Lungen hergaben.
Bootsmann, der sich im Fußraum an Hannahs Beine drückte, stimmte prompt in das Geschrei ein. Der kleine West Highland Terrier heulte wie ein ausgewachsener Wolf.
Philip saß schweigend hinterm Steuer, als ginge ihn der ganze Radau nichts an. Aber Hannahs Mann hielt es ja nicht einmal für nötig ihr zu erklären, weshalb sie sich an diesem späten Donnerstagabend, an dem nicht nur Millie längst im Bett hätte liegen müssen, überhaupt diese Strapazen antaten. Als hätten sie nicht schon genug um die Ohren.
Hannah streckte die Hand nach hinten aus und gab Millie ihren Daumen zum Nuckeln, ungefähr die einzige Möglichkeit, die Kleine zu besänftigen. Auch Bootsmanns Heulen wurde leiser. Doch jetzt stupste er seine haarige Schnauze wiederholt gegen Hannahs Arm und bettelte winselnd um Streicheleinheiten.
Ihr Mann stoppte vor einer Ampel, deren heller, roter Schein in Hannahs müden Augen brannte.
»Philip«, sagte sie genervt, »kannst du mir bitte endlich erklären, was das soll?«
»Das habe ich doch schon.«
»Du hast gesagt:
Pack die Taschen. Wir fahren weg
.«
»Ja, ein paar Tage, so wie früher. Einfach mal abtauchen. Was spricht dagegen?«
»Tausend Gründe.«
»Ach, Hannah, mach dir keine Sorgen.«
Fast hätte Hannah gelacht. Seit Monaten sprachen sie über nichts anderes mehr als ihrer beider Sorgen – zum Beispiel über die
Pixelschubser,
das kleine Grafikstudio, das ihr Mann an den Hackeschen Höfen betrieb. Über die stornierten Aufträge. Oder die offenen Rechnungen. Die insolventen Kunden. Die entlassenen Mitarbeiter. Die zwei Kredite für die Firma. Und natürlich die Hypothek für ihr Jühnsdorfer Haus.
Mach dir keine Sorgen?
Philip wusste nur zu gut, wie widersinnig ihr heutiger Ausflug war, kostspielig und deshalb absolut überflüssig.
Die Ampel sprang auf Grün. Er legte den Gang ein und fuhr Richtung Köpenick.
»Wir haben einen neuen Auftrag«, sagte er.
Erstaunt sah sie ihn an. »Wie bitte?«
»Einen richtig guten sogar.«
»Aber …«
»Kein Aber!« Philip legte
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