Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Vorwort
Als das Lesen weiblich wurde
»Lesen ist mein Lebensglück«, bekennt Elke Heidenreich in einem Interview.
Worin das Glück bestehen könnte, beschreibt die Schriftstellerin und Feministin Jeanette Winterson: »Ein Buch gibt mich nicht wieder, es definiert mich neu.«
» Ich möchte lesen, bis ich schwarz werde«, erklärt Virginia Woolf 1897, im Alter von neunzehn Jahren, ihrem älteren Bruder Thoby. Der studiert zu dieser Zeit in Cambridge, während sie sich zu Hause durch die väterliche Bibliothek frisst.
Fünfzig Jahre zuvor jubelt die Dichterin Elizabeth Barrett Browning: »Und wie ich es schlagen hörte / Unter meinem Kissen, im Dunkel des Morgens, / Eine Stunde bevor die Sonne mich lesen ließ! / Meine Bücher, mein Herz!«
»Ich lese nie Romane; ich habe Besseres zu tun«, lässt Jane Austen Anfang des 19. Jahrhunderts einen Mann in einem ihrer Romane sagen und fällt damit das Urteil über ihn. Gnade finden vor ihren Augen nur diejenigen ihrer Figuren, die sich zum Roman bekennen. Und das sind in der Mehrzahl Frauen.
»Ich vertrockne seit einiger Zeit, weil alle meine Bücherquellen sich verstopfen«, klagt Caroline Schlegel-Schelling, 1786 wohnhaft in dem Provinzstädtchen Clausthal, wohin ihre erste Ehe sie geführt hat. Der Brief geht an die Schwester in Göttingen, die regelmäßig eine Bücherbotin mit frischem Lesefutter zu ihr schickt.
Anna Louisa Karsch, eine der ersten deutschen Dichterinnen, aufgewachsen in prekären, bildungsfernen Verhältnissen, wie wir das heute nennen würden, erinnert sich: »Ich versteckte meine Bücher unter verschwiegenen Schatten eines Holunderstrauchs und suchte von Zeit zu Zeit mich in den Garten zu schleichen, um meiner Seele Nahrung zu geben.« Ihre Mutter hatte ihr das Lesen verboten, angeblich weil sie befürchtete, ihre Tochter würde darüber verrückt werden, in Wirklichkeit aber weil sie die Heranwachsende im Haushalt brauchte. Das war um 1730.
Sieben Zeugnisse lesender Frauen aus annähernd drei Jahrhunderten. Spielend ließen sie sich vermehren. Auch Männer haben von ihrer Liebe zum Lesen gesprochen, aber selten so lebensnah, so sprühend vor Lebendigkeit wie die Frauen. Ist Lesen weiblich?
Fest steht: Frauen lesen mehr als Männer und anderes als Männer. Mehr und am liebsten Romane, mehr und am zweitliebsten Biographien – Bücher also, die vom Leben handeln, egal ob Fiktion oder nicht. Frauen lesen, um zu leben, nicht selten auch, um zu überleben. Im Lesen riskieren sie Gefühle, versetzen sie sich in fremde Figuren und Welten, entdecken sie ihre eigene Wahrheit. Und das geht seit nun dreihundert Jahren so. Die Leseforscherin Maryanne Woolf spricht von » deep reading «, von vertieftem Lesen, im Gegensatz zu einem Lesestil, der auf Informationen und Fakten aus ist. Die Geschichte, wie es dazu kam, dass die Frauen diese Art des Lesens für sich entdeckten, und die vielen weiblichen Lese- und Lebensgeschichten, die dadurch möglich wurden, erzählt dieses Buch.
Harmlos der Beginn. Zum Beispiel so: Ein Studienabbrecher mit dem zum Spott einladenden Namen Klopstock fährt im Sommer 1750 in einem Boot über den Zürichsee. Er ist der Mittelpunkt einer Gesellschaft junger Leute und trägt seine Gedichte vor. Besonders die anwesenden jungen Frauen bringt er mit seinen Oden und Gesängen schier um den Verstand. So ist die Dichterlesung entstanden – bis heute ein gleichermaßen literarisches und erotisches Ereignis für ein vornehmlich weibliches Publikum.
Schon ein Jahrzehnt zuvor hat Samuel Richardson, ein Londoner Drucker Anfang fünfzig, mit seinen Romanen Pamela und Clarissa die Frauenherzen höher schlagen lassen. Pamela handelt vom sozialen Aufstieg durch Liebe, Clarissa vom existenziellen Niedergang ebenfalls durch Liebe. Täglich erreichen den Autor Briefe seiner entzückten Leserinnen. Zusammen mit seinen wohltemperierten Antworten bewahrt er sie in einem imposanten Schrank auf, den er seinen Besuchern aus dem In- und Ausland voller Stolz zeigt. Die Leselust der Frauen hat von Anbeginn an mit Liebeshunger zu tun – das sehen die Kritiker, die die grassierende »Vielleserei« und »Lesewut« für einen versteckten Angriff auf die Fundamente der bürgerlichen Moral und Ehe halten, schon ganz richtig.
Doch hinter dem Bedürfnis nach Liebe steckt mehr – der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Paris im Jahr 1789 ist nicht nur die Stadt des Sturms auf die Bastille, es ist auch die Stadt der lesenden Frauen. So bezeugt es ein
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