Trieb
Nähe.
»Sie sind nicht das erste Mal hier, nicht wahr?«, vermutete sie.
Er zwang seine Augen, sich von ihren Brüsten zu lösen. »Ach, tatsächlich?«
»Ja, Sie waren schon öfter hier und haben immer an der Theke gesessen. Kein einziges Mal haben Sie an einem der Tische Platz genommen, haben nicht einmal getanzt. Sie haben nur auf dem Barhocker gesessen und Ihre«, sie führte ihren Sekt an die glänzenden Lipgloss-Lippen, »und Ihre Cola getrunken.«
»Das ist Ihnen also aufgefallen?«
»Nein, Sie
sind mir aufgefallen«, korrigierte sie ihn.
Mit einem Tusch beendete die Tanzkapelle ihr Lied.
Du bist die Sonne in meinem Leben. Du bist der Stern an meinem Himmel.
Der Barkeeper räusperte sich: »Ähm, möchten Sie bezahlen, oder darf’s doch noch etwas sein?«
Bevor Sackowitz reagieren konnte, übernahm seine neue Bekanntschaft die Initiative: »Der Herr wollte mir gerade einen Prosecco ausgeben. Das habe ich doch richtig verstanden, oder?«
»Nun, eigentlich …«
»Sie wollen mich wirklich schon verlassen?« Sie ließ ihre Mundwinkel enttäuscht nach unten fallen. »Gefalle ich Ihnen etwa nicht?«
»Nein, nein«, beschwichtigte er.
»Wie? Was? Nein?« Ihre getuschten Wimpern klapperten entrüstet. »Ich gefalle Ihnen also nicht?«
»Doch, doch.«
»Ja, was denn nun?«
»Was ich meine: Sie sind …« Er geriet ins Stocken, als sie beiläufig die Beine übereinanderschlug und ihr Rock dabei einige weitere Zentimeter nach oben rutschte. »Also, Sie sind mir sympathisch.«
»Wusste ich’s doch.« Sie lächelte zufrieden. »Sie können mir nicht widerstehen. Dann lassen Sie uns gemeinsam anstoßen. Wie wär’s mit einem Prosecco?«
Sackowitz gab sich geschlagen. »In Ordnung. Aber für mich bitte nur eine Cola.«
»Schon wieder?«
»Ja, sogar Cola light.«
Sie rutschte ein Stück näher, sodass er in eine Wolke aus Prosecco und Parfüm eingehüllt wurde. »Ich bin Renate. Und du?«
»Harald.«
»Harald?« Sie nippte an dem perlenden Schaumwein, den der Barkeeper vor ihr abgestellt hatte. »Hardy würde mir besser gefallen.«
»So nennen mich meine Freunde.«
Sie presste ihre weichen Brüste gegen seinen Oberarm. »Tatsächlich? Also, ich bin nun doch auch deine Freundin, oder?«
Eins. Zwei. Drei. Vier.
Sackowitz begann, stumm vor sich hin zu zählen.
Fünf. Sechs. Sieben.
Aber auch das konnte nicht verhindern, dass ihm der Schweiß ausbrach.
Acht. Neun. Zehn.
Er lenkte seine Gedanken zu dem Schlager, den die Tanzkapelle gerade anstimmte. Wieder die Flippers.
Die rote Sonne von Barbados.
Renate wippte mit ihren Pumps dazu, ohne den richtigen Takt zu finden. »Und jetzt tanzen wir.«
Sackowitz kippte das halbe Glas Cola mit einem Mal in sich hinein. »Nein, nein, das geht nicht, auf gar keinen Fall.«
Renate zog einen enttäuschten Flunsch.
»Ich kann nicht tanzen«, verteidigte er sich.
Angesäuert rutschte Renate vom Barhocker. »Hardy, Hardy«, sagte sie strafend. »Du kannst nicht tanzen, du trinkst keinen Alkohol, du hockst nur an der Bar, und einer netten Dame, die dir einen schönen Abend verspricht, hast du nichts anderes zu bieten als … Ach, weißt du was? Vergiss es einfach. Was hast du überhaupt hier zu suchen?«
Das frage ich mich auch schon seit Tagen.
Was zum Henker hatte er im
Café Verdun
verloren? Zugegeben, um sein Liebesleben war es nicht zum Besten bestellt, und ja, die Verlockung war groß. Schließlich war er ein Mann und Renate eine Frau.
Und was für eine!
Aber war es tatsächlich so weit mit ihm gekommen? Das
Verdun
war die angesagteste Singlebörse Berlins – für die Generation vierzig aufwärts. Sackowitz wusste sehr wohl, welchen Ruf der Ball Paradox landläufig genoss.
Dankbar vernahm er ein bekanntes Handyläuten und holte sein Mobiltelefon hervor. »Oh, das ist Karin, meine Frau.«
4
Unweit des Treptower Parks drückte sich ein kleiner, fülliger Mann mit Halbglatze in den Eingang eines Altbaus. Frierend rieb er die Handflächen aneinander und mühte sich dabei, nicht den Aktenordner zu verlieren, den er sich unter den Arm geklemmt hatte. Die beiden Schatten, die sich ihm näherten, beachtete er nicht, sodass er erschrocken zusammenzuckte, als sie unvermittelt neben ihm zum Stehen kamen. »Sie sind nicht zufällig wegen der Wohnung hier?«
»Äh, doch.« Der Mann warf einen scheuen Blick auf den Hund. »Sind Sie Herr Kalkbrenner?«
»Der bin ich.«
»Wunderbar. Äh, eigentlich wollte meine Kollegin, Frau Praller, die Wohnungsübergabe mit
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