Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
Giorgio hatte den Kontakt zu Livio, in der Hoffnung durch den Freund Zugang zu besseren Kreisen zu bekommen, auch nach der Schule nicht einschlafen lassen. Sein sozialer Aufstieg ging ihm über alles. Selbst als er begriff, daß seine Hoffnungen vergeblich waren, lag ihm noch viel an der Freundschaft dieses Muttersöhnchens.
    Trotz guter Kinderstube war Livio in Enricos Augen ein ziemlicher Trottel. Im Grunde konnte er diesen schwächlichen Schöngeist nie leiden und hielt die Freundschaft mit ihm nur Giorgio zuliebe aufrecht.
    Den Frauen lief Livio nach wie ein geprügelter Hund. Seine Verehrung und Anbetung für das weibliche Geschlecht war jedoch ebenso falsch und verlogen wie alles andere an ihm. Livio liebte nur sich selbst und vielleicht noch seine Mutter.
    Sein Großvater war sehr reich gewesen. Doch sein Vater hatte einen Teil des Vermögens am Spieltisch verloren und sich danach von seiner Familie mit einem eleganten Kopfschuß verabschiedet. Keiner trauerte ihm nach. Von dem großen Grundbesitz der Brusattis war nur die Villa in Duino übriggeblieben, in der Livio bis heute mit seiner alten Mutter lebte.
    Livio geriet nach seinem Herrn Papa, hatte nie eine regelmäßige Beschäftigung und ließ sich immer wieder auf dubiose Geschäfte ein. Seine Mutter befürchtete zu Recht, daß er auch noch die kümmerlichen Reste des einstigen Vermögens verjubeln würde. Sie bemühte sich, das Geld zusammenzuhalten, gab ihm nur ein knapp bemessenes Taschengeld, dennoch schaffte er es, immer mit vollen Taschen herumzulaufen und seine Freunde bei jeder Gelegenheit freizuhalten. Auch Gina verwöhnte er oft mit Blumen und teuren Geschenken. Enrico hatte den Freund in Verdacht, seiner Mutter das Geld heimlich aus der Börse zu stehlen.
    Er meidet die Straße, nähert sich Livios Haus vom Hang her.
    Die meisten der prachtvollen Villen und hübschen Sommerhäuser am Hang stehen leer. In den Gärten, versteckt hinter hohen Zäunen oder weiß gestrichenen Steinmauern, warten Obstbäume und Blumenbeete auf den nahenden Winter.
    Ängstlich darauf bedacht, seinen Mantel nicht zu beschmutzen, klettert Enrico über eine abbröckelnde Mauer, auf der zwischen Aludosen und grünen Glasscherben totes Laub verfault.
    Livios Haus, von seinem Großvater um die Jahrhundertwende erbaut, ist von einem prächtigen Garten umgeben: Ein ordentlich geschnittener Rasen und gepflegte Blumenbeete. Blühende Blumen im Herbst. Friedhofsblumen.
    Die zweistöckige Villa mit den überdachten Balkonen und den hübschen Erkern liegt fast direkt am Wasser. Ein kleiner Parkplatz und ein winziger Jachthafen, begrenzt durch eine zierliche Kaimauer, trennen das Grundstück vom offenen Meer. Hohe Nadelbäume und dichte Sträucher schützen Villa und Garten vor der gefürchteten Bora.
    Die nächsten Häuser sind gute fünfzig Meter weit entfernt. Das Restaurant mit der begrünten Terrasse hat nur im Sommer geöffnet, und das benachbarte Hotel ist zur Zeit ebenfalls geschlossen.
    Kaputte Sonnenschirme, zusammengeklappte Campingbetten und ausgebleichte Liegestühle liegen aufeinandergestapelt am Strand. Der Wind spielt mit leeren Zigarettenschachteln und vergilbten Zeitungsfetzen. In der kleinen Marina überwintern nur wenige Boote. Der Parkplatz dient Segelschiffen als Trockendock.
    Die Brusattis vermieteten früher in den Sommermonaten ihre Zimmer an Touristen. Das Haus war einfach zu groß für zwei Personen. Außerdem konnten sie das Geld gut gebrauchen.
    Enrico und Gina verbrachten so manches Wochenende in dem hübschen Zimmer unterm Dach. Livios Mutter hatte allerdings für die proletarischen Freunde ihres Sohnes nicht viel übrig. Wahrscheinlich befürchtete sie, ›dieses Pack‹ hätte einen schlechten Einfluß auf ihren geliebten Sohn. Sie ließ die jungen Leute ihr Mißtrauen deutlich spüren. Trotzdem fuhren sie oft zum Baden hierher und blieben so manches Mal auch über Nacht.
    Durch das sauber geputzte Küchenfenster sieht Enrico die alte Dame mit dem Geschirr hantieren. Sie muß mindestens um die Achtzig sein, denkt er.
    In einem ungepflegten Garten, oberhalb des Hauses, stellt er seinen Koffer hinter einen Busch und setzt sich daneben ins Gras.
    Ein kleiner Vogel hat sich in den dürren Zweigen eines vertrockneten Brombeerstrauches verfangen. Es sieht aus, als hätte er sich erhängt. Traurig baumelt er im böigen Wind. Zwei hohlköpfige Gartenzwerge sehen ihm dabei zu. Der eine hat einen Korb am Rücken, der andere ein Messer im Bauch.
    Bisher hat

Weitere Kostenlose Bücher