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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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unverkennbaren Geruch nach billiger Möbelpolitur und Mottenpulver. Das ganze Gerümpel stammt aus Kosic’ Trödelladen. Ein knarrender Kasten, ein wertloser Teppich, eine Kommode, in der die Holzwürmer und Motten hausen, und jeder freie Flecken an der Wand ist mit windschiefen Bücherregalen, vom Boden bis zur Decke reichend, zugepflastert. Halbwegs akzeptabel ist nur das Ehebett seiner Eltern. Obwohl ich mir einbilde, daß sich in letzter Zeit die Sprungfedern in mein Kreuz bohren, wenn wir es gar zu wild treiben. Dieses edle Stück trat ihm sein Vater ab. Zu Weihnachten bekam der Herr Papa dafür eine neue Couch mit Gesundheitsmatratze. Typisch Enrico, für seinen geliebten Vater ist ihm nichts zu teuer!
    Die winzige Küche ist sehr spartanisch eingerichtet, sie besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Gefängniszelle. Ein wackeliger Tisch, zwei unbequeme Stühle, Kühlschrank, Abwasch und eine kleine, elektrische Herdplatte.
    Falls mir nichts anderes übrigbleibt, als doch Enrico zu heiraten, werde ich darauf bestehen, daß er sich nach einer geräumigeren und komfortableren Wohnung umsieht. Zwei Erwachsene und ein winziger Schreihals in einem Zimmer – was für eine Horrorvorstellung! Ich weiß, daß Enrico mich aufrichtig liebt und mich am liebsten sofort heiraten würde. Im Grunde ist er der einzige ernsthafte Bewerber um meine Hand, außer Michele, doch der kommt keinesfalls in Frage. Er ist nicht nur viel zu jung, sondern auch ein verrückter Träumer und hoffnungsloser Spinner. Meine anderen Liebhaber wollen nur ihren Spaß mit mir haben. Aber der Spaß wird ihnen schon noch vergehen. Ich werde aus ihnen rausholen, was rauszuholen ist. Umsonst laß ich mir keinen dicken Bauch verpassen.
    Enrico öffnet seinen Koffer, nimmt ein Zigarettenpäckchen raus und reißt es auf. Mit dem Rauchen wird er erst zu Hause aufhören.
    Die drei Kilometer zum Bahnhof geht er zu Fuß. Er möchte die ersten Stunden in Freiheit allein sein und nicht die Neugier irgendeines Taxifahrers befriedigen.
    Aus dem Fernsehen und von Erzählungen später eingelieferter Häftlinge kennt er die andere Welt. Aber wie die Wirklichkeit der neunziger Jahre aussieht, weiß er erst jetzt. Nichts ist mehr so wie 1974, als er für zwanzig Jahre hinter Gitter ging. Nicht nur die neuen Zuggarnituren und Automodelle, nicht nur der Verkehr, die Preise und die Kleidung der Leute, es ist alles anders. Es ist nicht mehr seine Welt.
    Er kauft eine Fahrkarte nach Triest – einfach, fast hätte er zu dem Mann am Schalter ›retour‹ gesagt. In Mestre steigt er um. Kein Schnellzug mehr, sondern ein einfacher Lokalzug, der auf allen Bahnhöfen stehenbleibt. Bis nach Triest braucht man geschlagene zwei Stunden. Die Züge auf dieser Strecke waren immer so gut wie leer und sind es auch heute.
    Die Fahrt durch die Ausläufer des Karsts verbringt er bei offenem Fenster. Ein eisiger Wind bläst ihm ins Gesicht. Jahrelang hatte er sich nach dem Geruch und der Härte und Kälte der rauhen Karstlandschaft gesehnt.
    Nach einem langen in den Felsen gehauenen Tunnel tauchen plötzlich die riesigen Schlote von Monfalcone auf und dahinter ragt das Schloß, in dem einst sein geliebter Dichter wohnte, ins offene Meer hinaus.
    Wer von hier aufs Meer schaut, wird immer wiederkommen wollen, denkt Enrico.
    »Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
    Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer
    mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
    stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des
    Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen
,
    und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht
,
    uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich ...«
    Er verläßt den Zug schon in Monfalcone und nimmt den nächsten Bus nach Duino. An der Haltestelle am Ortsbeginn steigt er aus.
    Gemächlich schlendert er durch das verschlafene Dorf. Um diese frühe Stunde begegnet ihm kein Mensch.
    Über den rotbraunen Dächern kreisen die Möwen. Enrico beobachtet die wilden Vögel, die im Sturzflug den steilen Abhang hinunterjagen. Sein Blick fällt auf den Giebel von Livios Haus.
    Livio war mit Giorgio und Enrico zur Schule gegangen. Als die beiden mit vierzehn abgehen mußten, wechselte er in eine teure Privatschule und schaffte mit Ach und Krach die Reifeprüfung. In seinen Kreisen war es üblich, einen Mittelschulabschluß zu machen.
    Die drei Freunde galten jahrelang als unzertrennlich. In der Schule waren sie als ›die Musketiere‹ verschrieen.

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