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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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und Schuhbänder verboten, aber sein Plan war viel einfacher.
    Die Stromversorgung in den Zellen war zeitlich begrenzt. Normalerweise wurde Punkt zehn Uhr abends das Licht ausgeschaltet. Danach kontrollierten die Wächter kaum mehr die Zellen. Er brauchte nur sein Bettlaken in dünne Streifen zu zerreißen, zwei, drei Streifen naß zu machen und zu einem festen Seil drehen und sich, wenn alle schliefen, auf die Bank zu stellen, das Seil am Fenstergitter befestigen, die Schlinge um den Hals zu legen und runterzuspringen.
    »Die Stimmen der anderen Häftlinge verschmelzen zu einem unverständlichen Gemurmel, in meinen Ohren dröhnt ein lautes, eintöniges Surren. Und ich fühle, wie mich die Sehkraft verläßt. Die Zellenwände neigen sich, rücken immer näher, die Decke senkt sich ...«, schrieb er damals in seiner Verzweiflung an seinen Freund Michele. Er schrieb im Stehen, das Blatt Papier an die Wand gedrückt, da ihm keine bequemere Stellung möglich war, wenn er sich nicht auf den verdreckten Boden setzen wollte.
    Den Häftlingen war es verboten, tagsüber das Bett zu benützen – eine reine Schikane. Sie waren zu fünft, eingeschlossen in einem Raum von höchstens zwölf Quadratmetern, zwei Stockbetten, eine schmale Bank ohne Rückenlehne, auf der ein kleiner Mann hockte und nachts auch schlief, weil es für ihn kein Bett gab. Die anderen streiften mit verschwitzten und zum Teil zerrissenen Kleidern wie blinde Fliegen im Raum umher, einige gingen barfuß. An einer Seite des Raumes befand sich eine Toilette, ohne Tür oder sonst eine Abtrennung, die Tag und Nacht Gestank verbreitete. Enrico hatte manchmal das Gefühl, in einer Kloake zu hausen.
    Als einer seiner Zellengenossen aus der Strafanstalt entlassen wurde, bat ihn Enrico, seinen Vater aufzusuchen und ihm Bescheid zu geben, wie es um den Alten stehe. Der verrückte Säufer schickte ihm tatsächlich eine Nachricht. »Dein Vater liegt im Sterben«, stand auf dem Zettel, den ihm ein Wärter in die Hand drückte.
    In seiner Verzweiflung schrieb Enrico, ohne sich vorher mit seinem Anwalt zu besprechen, einen Haftentlassungsantrag. Er schrieb, sein Vater sei pflegebedürftig, hätte nur mehr ein paar Wochen zu leben, er schrieb sich die Seele aus dem Leib und bekam nie eine Antwort. Sein Vater starb, und er erfuhr erst nach dem Begräbnis von seinem Tod. Damals las er gerade ›Zeno Cosini‹ und er beschloß, ebenfalls das Rauchen aufzugeben. An dem Tag, als der Anwalt ihn vom Tod seines Vaters unterrichtete, schrieb er zum ersten Mal in sein kleines, schwarzes Notizbuch: »1. Juli 1976. Drei Uhr nachmittags. Vater gestorben. LZ (= Letzte Zigarette).«
    Kurze Zeit später wurde er nach San Stefano verlegt.
    Die Zellen in San Stefano unterschieden sich nicht voneinander. Sie waren alle sechs Quadratmeter groß und spärlich möbliert: Pritsche, Tisch, Stuhl und Waschbecken. Die kleinen Zellenfenster waren vergittert und zusätzlich noch mit einem Maschendraht versehen. Die Häftlinge konnten nur nach draußen sehen, wenn sie auf einen Stuhl stiegen. Was sie sahen, war ein betonierter, schmutziggrauer Platz, auf dem im Sommer Fußball gespielt wurde.
    Der einzige Baum stand ausgerechnet vor Enricos Fenster. Eine armselige, kleine Birke, die schon früh im Herbst ihre spärlichen Blätter verlor. Durch das vergitterte Zellenfenster fielen bizarre Schatten von den Zweigen herein. Manchmal stieg er auf seinen Stuhl und beobachtete den leeren Gefängnishof.
    Die Gefängnismauer bestand aus groben Betonziegeln. Tauben nisteten in den Höhlen zwischen den Ziegelsteinen. Das große, rostige Eisentor quietschte laut in den Angeln und scheuchte die Tauben auf, sooft es geöffnet wurde. An windstillen Tagen konnte Enrico das Quietschen bis in seine Zelle hören.
    Abends waren die Galerien schwarz und still, nur penetrantes Schnarchen und das Gurren und Flügelschlagen der Tauben unterbrachen die Stille.
    Der Wechsel der Jahreszeiten machte sich in dem billigst erbauten Gemäuer empfindlich bemerkbar. Im Winter setzte sich die Kälte in Beton und Eisen fest, und es zog wie in einem Taubenschlag. Im Sommer, wenn das Thermometer häufig auf fünfunddreißig Grad kletterte, glichen die Zellen stinkenden Hexenkesseln.
    Es gab keine Ventilation, und die Glühbirne, die den ganzen Tag über brannte, verschlimmerte noch die Hitze. Fliegen klebten an den Wänden und am Maschengitter des Zellenfensters. Enrico besorgte sich einen Fliegentöter und entwickelte eine spezielle

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