Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
jubilieren, wie überall auf der Welt sind sie auch hier freundlich und harmlos grotesk. Ich bekomme ein Büchlein mit dem Titel: »Chant and be happy«, mit den Lehren des Gründers der Bewegung, Swami Prabhupada. Sogleich lese ich das Gespräch, das der Meister mit John Lennon und Yoko Ono – beide bekennende Sympathisanten – geführt hat. Thema war das weltberühmte Mantra der Bewegung: Hare Krishna, Hare Krishna, / Hare Krishna, Hare Hare / Hare Rama, Hare Rama, / Hara Rama, Hare Hare .
Der »Erleuchtete«: »Das Mantra singen ist das empfohlene Verfahren, um unsere Herzen zu reinigen. Jeder, der regelmäßig Hare Krishna singt, braucht nichts anderes mehr zu tun. Er ist bereits in der richtigen Ausgangsstellung. Er braucht auch keine Bücher mehr zu lesen.« Darauf Yoko Ono: »Yes, I agree.«
Wer wäre jetzt nicht gern Popkünstler? Initiiert vom Guru. Mit einem Vierzeiler fürs Glück. Und nie mehr lesen und denken müssen. Sonnig trällern reicht. Auch ich will mein Herz waschen. Einer der Gründe, warum ich hier bin. Aber ich will dabei mein Hirn behalten, will immer zuerst überlegen und dann ja sagen. Oder nein.
An Tempelmauern kleben ein paar Telefonnummern. Von Leuten, die ein »retreat« anbieten, eine Möglichkeit, sich für eine gewisse Zeit zurückzuziehen. Zum Stillsein, zur Meditation, zum Nachdenken über das eigene Leben, den Status quo. Nichts anderes suche ich. Aber ich komme nicht bei den angegebenen Telefonnummern durch, die Leitungen wackeln, der andere hört mich nicht, plötzliche Unterbrechung. Geheimnisvolles Indien. Ich lasse los, bin plötzlich geduldig.
Mit der Metro nach Old Delhi. Scharfe Kontrollen, sogar die Handtaschen werden geröntgt. Alles blitzsauber, kein Fetzen Papier liegt herum. Kaum hat man die Station Chandni Chowk verlassen, betritt man wieder vertraute Umgebung. Am Ausgang liegen die Krüppel, die Bettler, die Verrückten, die heiteren Faulpelze. Das alte Delhi ist eine kleine Hölle. Wer sie bedenkenlos betritt, wird das Schöne entdecken.
Hinter dem Rathaus-Park – einst verwüstet von Indiens Überbevölkerung, nun gesperrt – liegt ein Tempelchen, von dicken Bäumen umgeben. Eine Enklave für die Sadhus, die Wandermönche. Links und rechts brausen die sieben Todsünden der Menschheit vorbei, aber hier ist es still, nur sanftes Glockenbimmeln und Vogelzwitschern. Kein Ungemach kommt hier herein. Nur singen oder Tee schlürfen oder schlafen am helllichten Tag.
Von wegen. Nach ein paar Minuten setzt sich einer der »heiligen Männer« neben mich und deutet auf sein kaputtes linkes Auge. 5000 Rupien (80 Euro / ein Euro = 62 Rupien) hätte er gerne. Um es reparieren zu lassen. Ich bin inzwischen weise genug, mich nicht von jedem ins Fegefeuer der Schuldgefühle jagen zu lassen. Ich lächle so sanft wie er. Sonst nichts. Keine Ausreden, keine Ausflüchte. Nur sanft wie eine Kuh lächeln. Und er verzeiht mir. Und hält den Mund.
Noch ein Heiliger kommt. Bevor er mit seiner Bettelarie beginnt, frage ich ihn, ob er glücklich sei. Und er tappt in die Falle und sagt: »Yes, I am, very much so«, dann kurze Pause, dann: »Please, you help me.« Ich bin noch immer sanft und eiskalt und antworte vollkommen logisch: »Nein, DU hilfst mir, denn DU bist glücklich.« Das leuchtet ihm ein. Denn was ist sinniger, als dass die Glücklichen den Glückloseren beistehen?
Als ich die Oase verlasse, begegne ich sogleich wieder der ersten Todsünde im Land, der Armut. Ein Mann sitzt am Straßeneck, nur eine Armlänge vom indischen Abgastod entfernt. Und wäscht sich. Gründlich mit Seife und einem Kübel Wasser. Irgendwann sehe ich, dass er sich nur kniend bewegen kann, verdreht staken seine Waden in die Luft. Der Verkehr kümmert ihn nicht, nicht die Fußgänger, vollkommen unbehelligt putzt er sich. Um sich zuletzt einen Lunghi umzubinden, das Leibtuch. Das ist ein starkes Bild. Ganz frei von Elend. Nur Stärke und Disziplin sind zu sehen.
Ich suche die Adresse von Mahabir, seit achtzehn Jahren bin ich mit dem Alten befreundet, 2002 haben wir uns das letzte Mal gesehen. Als ich Straße und Hausnummer endlich finde, steht ein Mann davor, der sich als Anant vorstellt. Einer seiner Söhne. Ohne weitere Fragen bittet er mich hinein. Sein Vater ist tot, gestorben vor ein paar Monaten. Immerhin muss ich heute nicht schwindeln, denn sicher hätte ich wieder schwören müssen, nie mehr zu rauchen und nie mehr Fleisch zu essen. Hätte wieder gräuliche Bilder anschauen müssen von
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