Trigger - Dorn, W: Trigger
Raum zeugte zwar ebenfalls von körperlicher Verwahrlosung, mischte sich jedoch mit etwas, das nur schwer zu beschreiben und noch schwerer zu ertragen war. Es war beinahe so, als könnte dieser Gestank zu bleibenden Schäden führen, wenn man sich ihm zu lange aussetzte.
Angst, schoss es Ellen durch den Kopf. Es ist der Geruch der Angst.
So unprofessionell dies auch war, ihr fiel kein passenderer Vergleich ein. Und als ob ihr Körper ihn bestätigen wollte, fühlte sie, wie sich die Härchen auf ihren Unterarmen aufstellten.
Dann erkannte sie die Gestalt, die am Boden zwischen Bett und Wand kauerte. Ihre Größe war in der Dunkelheit nur schwer abschätzbar. Sie hatte die Beine umschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt. Langes dunkles Haar hing strähnig über die Trainingshose. Ein Knäuel Elend.
»Guten Tag«, sagte Ellen.
Zuerst zeigte die Gestalt keine Reaktion; nach einer Weile hob sie den Kopf, langsam wie in einer Zeitlupenaufnahme, doch es war zu dunkel, um ihr Gesicht erkennen zu können.
»Ich bin Dr. Ellen Roth. Und wer sind Sie?«
Keine Antwort.
»Darf ich näher kommen?«
Schweigen.
Vorsichtig ging Ellen auf die Frau zu, die sich nun dichter gegen den Heizkörper an der Wand drückte. Ellen hielt Abstand und setzte sich auf das Bett. Es sah noch unbenutzt aus. Hatte die Frau etwa die ganze Nacht in dieser Ecke zugebracht?
Der Körpergeruch der Patientin war aus der geringen Entfernung noch beißender, doch Ellen widerstand der Versuchung, das Fenster zu öffnen. Was immer dieser Frau auch zugestoßen sein mochte, im Augenblick war ihr der Schutz des geschlossenen und abgedunkelten Raums wichtig. Ellen zweifelte keine Sekunde daran, dass die Frau selbst das Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen hatte. Ein gekipptes Fenster würde sie möglicherweise verunsichern oder aufregen und damit jegliche Grundlage für ein Gespräch zunichtemachen. Zumindest vorerst.
Okay, Frau Doktor, jetzt heißt es professionell vorgehen, auch wenn dir danach zumute ist, die Nase zuzuhalten und
aus dem Raum zu laufen. Jetzt heißt es: Vertrauen aufbauen und durch den Mund atmen. Und ist erst mal Vertrauen da, werden wir dieses Zimmer auf Durchzug stellen.
Sie musterte die Frau, die sich noch weiter in die Ecke drückte, als wolle sie rücklings in die Wand kriechen. Nun fiel ein wenig Licht auf ihr Gesicht. Es wirkte aufgeschwemmt, was durch die Schwellungen an Kinn, Wangen und Schläfen noch zusätzlich betont wurde. Die zahllosen Blutergüsse auf ihren Unterarmen und im Gesicht sahen im Halbdunkel wie Rußspuren aus, so als hätte die Frau mit bloßen Händen in einem Kohlenhaufen gewühlt und sich danach den Schweiß aus dem Gesicht gewischt.
Wer auch immer sie verprügelt haben mochte, hatte ganze Arbeit geleistet. Wahrscheinlich handelte es sich um keine Prostituierte, vermutete Ellen. Zuhälter schlugen selten ins Gesicht. Sie suchten sich weniger auffällige Stellen, so dass die Frauen wenigstens noch mündlich Einnahmen erzielen konnten.
Bei dem traurigen Anblick verstand Ellen, warum Chris dieser BIF so am Herzen lag und was er gemeint hatte, als er sagte: »Vielleicht ist es sogar besser, wenn du dich um sie kümmerst.«
Dass er als Mann zu dieser Frau keinen Zugang bekommen hatte, war nicht weiter verwunderlich. Nicht bei einem Misshandlungsopfer, das sich mit einem schweren Schock in die Ecke eines abgedunkelten Raumes verkrochen hatte. In solchen Fällen war es schon für eine Ärztin schwer genug, ein Gespräch von Frau zu Frau zu führen. Häufig verhielt sich das Opfer nicht nur wegen des Schocks, sondern auch aus Scham verschlossen und ablehnend gegen jegliche Hilfsangebote.
Es konnte jedoch noch einen dritten und wesentlich einfacheren Grund geben, warum die Frau auf ihre Fragen nicht reagierte: die Sprache.
In letzter Zeit hatte Ellen häufiger mit Osteuropäerinnen zu tun gehabt, die ihren Männern als Ventil für angestaute Aggressionen herhalten mussten. Die zunehmenden sozialen Brennpunkte selbst kleinerer Städte wie Fahlenberg waren der beste Nährboden für Gewalt. Meist traf diese Gewalt schwache und wehrlose Frauen, die schon allein wegen der Sprachbarriere nicht in der Lage waren, sich Hilfe zu holen. Möglich, dass es sich bei dieser Patientin um eine Osteuropäerin handelte. Ihr Aussehen, das dunkle Haar und die fast ebenso dunklen Augen sprachen dafür.
Andererseits hast du selbst dunkle Haare und braune Augen und stammst auch nicht aus Kasachstan oder Kroatien
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