Trisomie so ich dir
Schlagfrequenz fortzusetzen. Kleines, grünes Auto und dann Schritte, Schritte, Schritte, die auf den Pflastersteinen wie lässig pumpende Housebeats hallen, obwohl Roy nicht weiß, was Housebeats sind, und Herzbeschleunigung machen. Der Atem geht bewusst rein und raus, irgendwie ist überall zu viel Luft zugegen, und Roy hat ein Sommersprossengesicht gesehen, das er unbedingt berühren mag. Die Hand auf die Wange legen, die Hand dann da lassen und Ewigkeit Ewigkeit sein lassen. Roys Herz will seinen Körper verlassen, schlägt wild und wirr um sich, wie ein durchgeknallter, aggressionstherapieresistenter Boxer, der durch gezielte Schläge in einem Ameisenhaufen Einzelwesen mit Fausthieben töten will, und eine leichte Atemnot blockiert entspanntes Weiterdenken. Da dreht sich was im Kopf, ein buntes Karussell wird angeschoben und eine leicht angeranzte Kirmesmelodie deckt all das zu. Roys Gedanken sind plötzlich Pferde, Feuerwehrautos und Raumschiffe, die hintereinander im Kreis fahren und einen Augenblick lang kann Roy das genießen und im nächsten Augenblick wird ihm schwindelig davon und im übernächsten Augenblick will er das alles anhalten, aus Angst vor Kontrollverlust, und im Augenblick danach ist alles zu spät, und er wirft das eigene Herz wie einen Stein in den See der Sehnsucht. Mit dem Bewusstsein, dass es ohnehin untergeht.
Sie stieg aus ihrem Fiat aus, die Beine geschwungen wie elegante Satzzeichen, und schwebte gen Supermarkt, verfolgt von Roys verzehrenden Blicken. Die Blicke haben Hunger, Roy hat Hunger, Hunger nach winziger Zärtlichkeit. Die ist ihm abhanden gekommen. Irgendwo im dichten Wald des unentspannten Älterwerdens hat sie eine andere Abbiegung als er genommen, und jetzt steht er da und will das rothaarige Mädchen berühren und ihre Wange anfassen, die Grenzen des schönsten Gesichts der Welt mit den Händen erfahrbar machen. Aber das Gesicht ist erst mal weg, und Roy braucht jetzt, was Roy nie hatte, nämlich: Mut.
Kurz nach dem Mutanfall liegt er also da, der Roy. Liegt auf dem Rücken, und über ihm scheint die Sonne ihr krassestes Gelb herab, und er muss blinzeln. Die Sonne kitzelt seine Nase und legt sich wie mütterliche Handflächen auf sein Gesicht. In seiner Jackettasche hat er eine Sonnenbrille, die er sich dann aufsetzt und sich wie jemand Erhabenes und gleichsam Distanziertes fühlt. Roy ist einen Augenblick lang glücklich, bevor wieder eine Stimme in ihn fährt, die sich aus der Angst, vor dem Untier Leben zu versagen und seiner Chancenlosigkeit im Allgemeinen, zusammenstellt. Manchmal, so wie jetzt, in diesem virtuosen Augenblick, ist die Welt ein Stummfilm und Roy auf der Suche nach dem passendsten aller Untertitel. Da muss doch irgendwas sein. Worte unter Bildern. Beschreibungen dessen, was die Welt beschleunigt.
Es liegt auch eine leichte Frivolität neben Roy, er ist sich dieser auch bewusst, schämt sich ihrer aber nicht, sondern denkt einfach an den Skandalen, die er selbst darstellt, vorbei in eine Richtung, wo eine sehr persönliche Sonne scheint. Roy ist gut ausgerüstet. Roy hat eine Sonnenbrille. Und sein Ausdruck grenzt an Fröhlichkeit. Subtil lächelt er an dem Ausdruck, der tatsächlich als Fröhlichkeit identifiziert werden kann, vorbei. Er fühlt sich ein wenig schlüpfrig, wie ein pubertierender Junge, obwohl er schon 28 Jahre alt ist, aber Alter ist für Roy nicht von Bedeutung, da gibt es nur Fühlen und Nichtfühlen, und jetzt ist Fühlen und Roy guckt und wartet auf sein Glück.
Roy weiß, dass das Glück sehr oft mit anderen Dingen beschäftigt zu sein scheint, als mit ihm und anstatt sich um ihn zu kümmern, bringt es manchmal lieber ukrainischen Bärenfamilien in Zoos unerwarteten Nachwuchs oder einem blöden Ruhrgebiet-Fußballverein gute Stürmer. Das Glück ist nicht Roys bester Freund, was auch daran liegen mag, das Roy es stets provozieren möchte. Das ist auch ein Grund, warum er jetzt mit einer Sonnenbrille im Gesicht auf einem Supermarktparkplatz liegt. Das Glück hingegen weiß nie so recht, wie es dem Roy begegnen soll, meistens versteckt es sich hinter grauen Wänden oder unter Gullideckeln, um dann lieber den Ratten in der Kanalisation der Stadt Genüge zu tun. Scheiß Glück, denkt Roy manchmal, und das Glück schert sich nicht drum und spart sich die Präsenz in seinem Leben. Aneinandervorbeileben.
Heute provoziert er es wieder, das blöde Glück, und liegt auf dem Supermarktparkplatz vor einem kleinen, grünen Fiat Punto. Er
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