Trisomie so ich dir
Behäbigkeit wie ein Kind, das auf ewig in einer geschlossenen Hüpfburg eingeschlossen ist. Das ist ja für Momente manchmal ganz schön, aber wenn einem dann das Spiegelbild die Endgültigkeit von allem täglich in die Fresse schleudert, das ist ein Grund für tiefe Traurigkeit, findet Roy. Aber er gibt nicht auf, Sehnsucht und Romantik sind für ihn nicht nur Wörter, die in Schlagertexten eine imaginäre Größe vorgaukeln, sondern Roy kann diese Wörter füllen. Mit Leben. Und er wird ruhiger, und da vorn ist ja der Park und Roy entscheidet sich, den kleinen See zu umrunden, der sich ungefähr in der Mitte des Naherholungsgebietes aufhält. Wogende, fast tänzelnde Bäume machen den Park zu einer idyllischen Filmkulisse, in die Roy jetzt eintaucht.
Roy schließt kurz die Augen und da ist sie dann wieder da, die Rothaarige, und läuft neben ihm und duftet wie sonnengeduschte Erdbeeren duften, und Roy steckt ihr Erdbeeren ins Gesicht und die Rothaarige lächelt und öffnet ihren schönen, vollen, ganz glanzlippigen Mund und Roy schiebt Frucht um Frucht in sie hinein, und sie kaut und lacht und Erdbeersaft fließt aus ihr raus. Roys Gedanken machen einen Sprung und das Mädchen und er liegen nackt auf einer Wiese und füttern einander mit Würstchenketten und Cola. Drumherum surren Insekten. Vöglein singen, Blumen blühen. Die Wiese ist so weich und Roy sieht die Brüste des Mädchens, die ihn anlachen und ihn bitten, sie anzurühren, und Roy tut, wie ihm von den Brüsten aufgetragen, und das Mädchen jubiliert und isst meterweise Wurst von der Kette und schüttet Cola nach. Roy legt schließlich seinen Kopf auf den Bauch des Mädchens und das Mädchen schläft bereits und dann macht Roy die Augen wieder auf, sitzt mit heruntergelassener Hose unentspannt auf dem öffentlichen Klo und fühlt, wie sein Sperma ins Freie tritt. Dann weint Roy, die Tränen laufen ihm das Gesicht herunter, ein Tränencocktail aus Wut- und Trauersaft, und er verlässt die Toilettenzelle erst, als Sperma und Tränen getrocknet sind.
Gott guckt auf Roy und er freut sich an ihm. Das, was der Roy nämlich an Liebe ausstrahlt, das ist genau das, was sein Glaube, seine Kunst eigentlich vermitteln mag. Die Unmittelbarkeit der Liebe, mit einer gewissen Wahllosigkeit geschmückt, das sollen die Leute verteilen, dann wird der scheiß Planet endlich ein Planet Gottes. Leider machen da die wenigsten mit.
Früher hat Gott das irdische Leben noch beeinflusst. Wenn er beispielsweise zornig war, hat er gezielt Naturkatastrophen ausgesendet oder Kriege angezettelt. Irgendwann wurde das langweilig, denn irgendwann erkannte er, dass er die Leute dadurch keine Spur veränderte. Die, die überlebten, machten einfach weiter mit dem ganzen Mist, häuften weiterhin Scheiße auf Scheiße und weigerten sich, das Leben als beständige Folge von lieblichen Ereignissen zu gestalten. Vielleicht ist seine Idee zu hippielastig, aber wenn Gott Roy so sieht, hat er eine Resthoffnung.
Nach Leben graben
Illusionen, so denkt Solveig, sind ja kleine süße Tiere, die auf dem Fußboden leben. Oder im Handschuhfach eines Kleinwagens. Als Solveig rauchen mag und ein Feuerzeug sucht und eins im Handschuhfach ihres kleinen grünen Fiat Punto wähnt, guckt sie dabei auch nach, ob da irgendwelche Illusionen versteckt sind. Sind aber keine da, nicht mal ein Feuerzeug, und sie fährt weiter. Scheiße. Illusionslose Leben riechen nach Sterben, denkt Solveig.
Verdammte Illusionen, denkt Solveig noch. Illusionen haben ja im Allgemeinen die Eigenschaft, etwas Vorhandenes als etwas komplett anderes zu vermitteln. Es geht dabei um wirkliche Wahrnehmung, die verfälscht dargestellt wird. Solveig illusioniert ihr Leben in ihrer leichten und fettarmen Mädchennaivität als einen Haufen gut gemeinter, aufeinander folgender Ereignisse, die ihr die Zeit des Existierens irgendwie interessant erscheinen lassen sollen, doch wenn man dann die Augen auch nur ein wenig für den Realismus öffnet, dann ist dieses Leben irgendetwas zwischen Geburt und Tod, was dazu da ist, es voller Ereignisse zu stellen und vollzubauen mit Werten und Erwartungen, an denen man sich orientieren mag, um dann am Ende zu erkennen, dass das Leben eine Baustelle ist, die niemals fertig gestellt werden wird. Immer fehlt irgendwas, manchmal ist irgendwas zuviel, aber auf jeden Fall besteht nie die Möglichkeit, die ganze Kiste als fertig oder beendet zu betrachten. Nie, nicht, zu keinem verfickten Zeitpunkt.
Solveig
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