Tropfen im Ozean
bereitsteht und in dem sie noch die letzten wichtigen Gespräche führt, bevor sie mit Businessclass in den wohlverdienten Urlaub auf die Malediven in ein fünf Sterne Luxushotel fliegt, wo ein Drink soviel kostet wie ein Drei-Gang-Mittagsmenü hier.
Das Holzklasse-Ticket in meiner Hand holte mich aus diesen wenig förderlichen Vergleichen zurück in die Wirklichkeit und damit fiel mir meine Absicht, Facebook aufzurufen, wieder ein. Eilig loggte ich mich ein. Ein paar hatten meine Freundschaftsanfrage schon bestätigt, aber der Hübsche hatte eine schnippische Frage versendet: „Kennen wir uns?“ Typische Ansage, von einem, der es hasste, von Fremden angesprochen zu werden.
Meine Freundschaftsdrang war vollends verflogen und so schrieb ich reumütig zurück: „Nein, tut mir leid, wollte Sie nicht belästigen, hab aus Versehen auf die Anfrage geklickt, sorry“.
Dann löschte ich alle ausstehenden Freundschaftsanfragen und fuhr den Rechner runter. Keine Lebenslügen mehr. Ich war auf dem Weg zu einem Seminar, das den passenden Namen für mich trug: Create your destiny . Wenn das kein gutes Omen war! Das wird ein schicksalhaftes Seminar, sagte ich mir. Vielleicht lernst du genau da den richtigen Menschen für deine Zukunft kennen. Es kann kein Zufall sein, dass du hier im Flieger sitzt.
Es ist auch kein Zufall, setzte mir mein Hirn missmutig entgegen. Du hast dich auf einem Anheiz-Seminar dazu überreden lassen und bist auf amerikanische Verkaufstaktiken reingefallen. Schlicht und ergreifend. Widerwillig schob ich die Gedanken weg. Nein, sagte ich diesem unerbittlichen Richter in mir: Ich gehe positiv an die Sache ran. Es wird super. Es wird ganz sicher ganz toll werden.
Ich nehme an, ich war die Einzige, die das so empfand, aber: Das Seminar war die Hölle. Alle hüpften herum wie Aufziehmännchen, begeistert, aufgedreht und bis an die Grenzen aufgepumpt. PARTY!!! YEAH!!!! ROCK IT OUT!
Von Beginn an fühlte ich mich wie abgeschnitten. Hatte ich mich im ersten Seminar berauscht von der Woge kreischender Menschen mitreißen lassen, verfolgte ich nun die brüllenden Menschen und deren überschäumende Laune wie aus einem fremden Universum. Dachte: „Oh, mein Gott, was ist das hier?“ und machte halbherzig mit, um nicht aufzufallen.
Draußen schien die heiße Wüstensonne, aber im Seminarraum, in dem sich über tausend Menschen verschiedener Nationalitäten befanden, war es eisig kalt. Der Seminarleiter erklärte uns, dass man in warmen Räumen zu schnell müde werden würde, daher hatte er alles auf 12, 13 Grad runterklimatisieren lassen. Ich fror in meinen dünnen Sommerklamotten wie ein Schneider.
Die Menschen um mich herum waren alle sehr nett, nur sah ich sie wie in einem Film, in dem ich nicht mitspielte. Ich beobachtete ihre Aktionen und Reaktionen wie ein Verhaltensforscher Lebewesen von einem anderen Stern.
Sie schrien, wenn der Seminarleiter wollte, dass sie es taten. Sie weinten, wenn er auf die Tränendrüse drückte und sie tanzten, wenn er mit dem Finger schnippte. Wie ferngesteuerte Affen.
Aber das Schlimmste war, dass man einen sogenannten Buddy zugeordnet bekam, der speziell für eine Gruppe von drei bis vier Leuten verantwortlich war. Was das hieß, sollte ich bald begreifen. Schon zu Beginn des Seminars wollte der Referent, dass wir „Enthusiasmus“ übten und forderte uns auf, einem Seminarkollegen einen Orgasmus vorzuspielen - im angekleideten Zustand zwar, dennoch fühlte ich mich komplett daneben. Ich meine, geht’s noch? Da sitzt du auf einem Stuhl und einer schaut dir beim Röcheln zu? Nachdem ich Anstalten machte, diese erste Übung gleich mal auszulassen, wurde ich erstmals mit meinem „Buddy“ konfrontiert.
„Warum blockierst du dich so?“ wollte sie wissen.
„Das... äh... geht mir einfach zu früh zu weit“, erklärte ich unsicher.
„Wie willst du den Rest des Seminars überstehen, wenn du jetzt schon zickst?“ erwiderte sie und ich hielt ihre Befürchtungen für allzu berechtigt. Verdammt, das Seminar dauerte eine ganze Woche!
„Du musst dich öffnen“, fuhr sie fort. „Das ist wichtig. Na, los, du wirst doch wohl wissen, was ein Orgasmus ist... stöhn doch einfach drauflos, bist doch nicht die Einzige hier!“
Ich wurde bleich. Gehetzt sah ich mich um. Keine Fluchtmöglichkeit. Um mich herum wurde geröchelt, gestöhnt und gezuckt. Ein Mann schrie wie ein abgestochenes Schwein.
Verunsichert sah ich zum Buddy. „Das ist nur am Anfang so“
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