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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Posts.
    Von glücklichen Ex-Kommilitonen, die mit Sekt vor dem Gebäude und Firmenschild ihrer Zukunft standen. Posts von Freunden, deren Eltern ein Foto der Zusage, plus dem darauffolgenden Luftsprung und den strahlenden Augen geschossen hatten. Ole, der eine Landkarte mit einem Fähnchen markiert hatte  - ich klickte auf Zoom – ich fass es nicht! New York! Und hier, ach Gott, tatsächlich ein kleines Video von Anne. Ihre Eltern hatten ihr Kuverts  - keine dicken DIN A 4-Umschläge - dreier Firmen auf einen üppigen und liebevoll gedeckten Frühstückstisch gelegt. Volles Programm! Sekt! Rosen! Das feine Geschirr. Und mittendrin Anne, wie sie nacheinander diese drei Briefe öffnete. Drei Zusagen! Fassungslos sah ich, wie Anne laut kreischend im Zimmer herumhüpfte. Spulte zurück. Sah Anne bei ihren Sprüngen, die Briefe in der Hand. Spulte zurück. Bemerkte ihre Mutter, der Tränen der Freude und des Stolzes über die Wangen liefen. Spulte zurück. Sah ihren Vater, der seine Tochter voller Liebe ansah. Spulte zurück. Sah, dass Anne von drei Firmen genommen worden war, die mich alle abgelehnt hatten.
     
    Wochen vergingen. Ich verbrachte einige Abende mit Ex-Kommilitonen, aber da diese unentwegt über ihre Zukunft und ihren Job sprachen, frustrierte mich das enorm. Außerdem fragten sie natürlich, wo ich denn untergekommen sei.
    „Hab ein paar ganz interessante Angebote...aber mich noch nicht entschieden... bei dem einen müsste ich ins Ausland“.
    Sie nickten und sagten nichts mehr, als ob sie wüssten, was das bedeutete. Keiner fragte nach.
    Ich rief meine Eltern an.
    „Und?“ fragte  mein Vater. „Wo bist du denn?“
    „Zuhause“.
    „Ich meine, jobmäßig. Wo bist du denn jetzt?“
    „Wahrscheinlich nehme ich ein Angebot im Ausland an. Vielleicht in den Staaten“, log ich aufmüpfig.
    Er seufzte. „Ich geb’ dir mal Mama“. Ich schluckte.
    „Also“, schwappten die Worte trotzig und provokativ aus meinem Mund, als Mama dran war: „Ich geh wahrscheinlich nach Amerika.“
    „Die Staaten“, sagte meine Mutter. „Na, so was.“
    Ich dachte an Anne. Hätten ihre Eltern geweint, wenn sie nach Amerika oder sonst wohin gegangen wäre?
     
    Ich glaube, es begann damals, dass ich nach Antworten außerhalb meiner selbst suchte für das, was das Leben so bot. Warum wurden andere genommen, obwohl sie teilweise schlechtere Noten hatten als ich? Warum war ich von vielen Firmen noch nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden? Und bei denen, die mich persönlich kennen gelernt hatten, hatte meine Person auch nicht gepunktet. Warum? Lag es daran, dass ich damals schon ein paar Pfunde zu viel hatte und älter als der Durchschnitt war? Gebärfreudiges Becken und voll im biologischen Countdown? Dumpf dachte ich an Anne mit ihrer vollen Oberweite und der schmalen Taille. Bei mir war es umgekehrt. Ich hatte eine volle Taille und einen schmalen Busen, soweit man das von diesem Körperteil so sagen kann. Ich hab Körbchengröße A. Oder B. Das erschließt sich mir nicht so genau.
    Immer, wenn ich BHs kaufen gehe, verzweifle ich. Warum passt mir weder A noch B? Die A-Körbchen machen busenmäßig aus mir eine 13-jährige, die den BH nur anzieht, um das Erwachsensein zu beweisen. Und die B-Förmchen frustrieren mich komplett. Wenn ich die Brust nicht rausstrecke, passt irgendwie der Busen nicht in den Korb, will sagen, es sieht so aus, als fehle ein Stück Brust. Also, eigentlich fehlt ein Stück Brust, sonst sähe es ja nicht so aus. Soll zwar mental fördernd sein, die Brust rauszustrecken, um den Korb zu füllen, aber irgendwie ist es mental nicht förderlich, dass ich die Brust vorstrecken muss, um doch keine echte Fülle zu erzeugen. Wie dem auch sei, diese Gedanken, die sich mir aus purer Schutzfunktion unwillkürlich ins Hirn drängten, waren eine dürftige Erklärung und ich wusste das. Ich wollte eine, die ich akzeptieren konnte, wollte endlich wissen, warum manche so viel Glück hatten... mit ihren Eltern, ihrem Umfeld, ihrem Aussehen... mit allem. Und manche eben nicht.
    Ich begann, Persönlichkeitsseminare zu besuchen, in denen mir die unterschiedlichsten Referenten klarzumachen versuchten, dass ich ein wertvoller Mensch sei, dass ich mich selbst lieben und akzeptieren müsse, dass ich Erfolg ausstrahlen müsse, wenn ich ihn haben wollte. Dass ich einen festen Händedruck, eine ausgefeilte Rhetorik und einen klaren Geist brauche, um im Leben bestehen zu können. Dass man nur etwas

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