Der aufrechte Soldat
1
Auf dem Lager des Affengottes
Während die letzten Partygäste in die Verdunkelung hinaustappten, raste ich nach oben und schloß mich in meinem Zimmer ein. Mein Morgenmantel fiel vom Haken, als die Tür zuschlug, sank hin wie ein Sterbender, einen Arm dramatisch über das Bett gelegt. Ich streifte mir die Sportjacke von den Schultern, rollte sie zu einem Bündel zusammen und schleuderte sie drei Meter weit in die fernste Zimmerecke.
Auf der Kommode befanden sich ein holzgeschnitzter Bär, der mir zum zehnten Geburtstag von einem Onkel geschenkt worden war, eine Tüte grüner Äpfel, ein gerahmtes Photo von Ida Lupino, meine Uniformmütze und drei wollene Unterhemden. Ich wischte alles einfach herunter und kletterte auf die Kommode, wo ich kurz hocken blieb und stöhnend den Kopf hin und her bewegte.
Mein Gott, was für ein blödes, irrwitziges, ekelhaftes Trauerspiel das alles war! Diese Schande der ganzen beschissenen Party! Diese schaurige, beschissene Engstirnigkeit meiner Eltern und ihres Lebens! Und das sollte nun meine Abschiedsparty sein, ehe ich in die Ferne zog, um meinem König und meinem Vaterland zu dienen! Wenn das mein Abschied war, dann blieb mir nur noch übrig, auf die biologische Kriegsführung zu hoffen.
Indem ich mich auf der Kommode kniend etwas aufrichtete, konnte ich den Kopf und die Schultern gegen die Decke stemmen und auf diese Art und Weise eine leicht deformierte Karyatide darstellen. Während ich mir häßliche Soldatengedanken durch den Kopf kreisen ließ, drückte eine Seite meines Gesichtes gegen die abblätternde Decke. Mein Unterkiefer sackte herab, von meiner Zunge troff der Speichel, meine Augenlider flatterten wie in einem uralten Horrorfilm und ließen das Weiße grell hervortreten. Gleichzeitig schaffte ich es, am ganzen Leib zu zittern und jeden Muskel zucken zu lassen. Herr im Himmel, was für ein geiler Traum von Party war das? fragte ich laut mit einem ungläubigen Unterton.
Und ich dachte an die anderen Burschen in der A-Kompanie. Ihre freundlichen und lümmelhaften Gesichter zogen an meinem geistigen Auge vorbei, ihre stumpfen Nasen und kurzhaarigen Schädel waren mir beinahe willkommen: Wally, Enoch, Geordie, der alte Chalkie White, Carter der Furzer, Chota Morris … Heute abend ließen sie sich alle sinnlos vollaufen und bumsten reihenweise die Mädels – zumindest würden sie das felsenfest behaupten, wenn sie morgen in die Kaserne zurückkämen. Und ich – ich, nüchtern und unversorgt, würde lügen müssen, um das Gesicht zu wahren und dem Infanteristenmythos gerecht zu werden, daß man seinen ganzen Urlaub damit verbrachte, es einem willigen Objekt im Hinterhof irgendeiner Kneipe zu besorgen. Ich spannte mich an und stemmte meine Schultern fester gegen die Decke in der Hoffnung, durch die Latten- und Gipsschicht unter das falsche Dach durchzubrechen und gegen den verschalten Wassertank zu krachen. Diese Party für mich, den strahlenden Helden, für den Stolz der grünen Mendip Hills?
Die ganze Sache war von Anfang an eine Farce gewesen. Mein Vater hatte zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Anflug von Begeisterung gezeigt. Mein Bruder Nelson hatte es geschafft, in Edinburgh Urlaub herauszuschinden, um mich sehen zu können – »zum letzten Mal«, wie er es ausdrückte –, und die Abschiedsparty war seine Idee gewesen. Er hatte die Eltern wortgewandt dazu überredet.
»In diesen Kriegszeiten geht das nicht so einfach«, sagte mein Vater und schüttelte den Kopf. »Ihr Jungen versteht das nicht. Außerdem habe ich diese Woche Luftschutzdienst.«
»Frag doch einfach Oberst Whale. Er wird dir schon eine Flasche Whisky erlauben, da Horry schließlich nach Übersee geht. Es ist ein besonderer Anlaß.«
»Whisky? Ich werde keinen Whisky besorgen! Das würde nur die Party verderben! Ihr würdet euch nur betrinken!«
»Dafür ist der Whisky da, Papa«, sagte meine Schwester Ann mit ihrer schicksalsergebenen Stimme. Wir waren alle ganz gut darin, mit schicksalsergebener Stimme zu sprechen, und zwar einfach durchs Imitieren.
Meiner Mutter gefiel die Idee einer Party recht gut, falls sie es schaffte, den Bezugschein zu organisieren, der nötig war, damit sie sich ein hübsches Kleid kaufen konnte. Sie kam sich so schäbig vor. Das war auch der wesentliche Grund, warum sie in dieser Zeit kaum jemand Fremdes sehen wollte. Sie sah sich unzufrieden im Wohnzimmer um, in dem trotz der vielen Jahre Stubbs’scher Abstinenz immer noch ein schwacher
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