TS 67: Der Held des Universums
Erwin. „Lys hat sich völlig verändert, seit er hier ist.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Aiken Muir trocken, und alle lachten – Leslie eingeschlossen, der die Spitze wohl bemerkt hatte.
„Ich weiß nur, daß ich es gründlich satt habe, diesen Beichtvater um mich herum zu haben“, sagte Heyer. „Ich behaupte, daß er doch irgendein privates Motiv mit diesem Getue verfolgt. Wenn er uns genügend ausgepumpt hat, wird er ein Buch schreiben, und ganz Amerika wird über New Brewster reden. Ich habe jedenfalls mit meiner Frau gesprochen, und er bekommt keine Einladung zu unserer Party am Montag.“
*
Auf der Party der Heyers am Montag herrschte eine seltsame Kälte. Die üblichen Leute waren da – alle außer Mr. Hallinan. Die Party wurde kein Erfolg. Einige, die nicht wußten, daß Mr. Hallinan nicht eingeladen worden war, warteten voll Hoffnung darauf, mit ihm sprechen zu können und gingen tatsächlich früher weg, als ihnen klar wurde, daß er nicht kommen würde.
„Wir hätten ihn einladen sollen“, sagte Ruth Heyer, nachdem der letzte Gast gegangen war.
Heyer schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin froh, daß wir es nicht getan haben.“
„Aber dieser arme Mann war ganz allein in seinem Haus, während wir uns hier vergnügten. Du meinst doch nicht, daß er beleidigt sein wird? Ich meine – uns jetzt von sich aus schneiden wird?“
„Das ist mir egal“, sagte Heyer finster.
Sein Mißtrauen Mr. Hallinan gegenüber verbreitete sich über das ganze Gemeinwesen. Zuerst waren es die Muirs, dann die Harkers, die Heyers Beispiel folgten und ihn nicht einluden. Er machte immer noch seine üblichen nachmittäglichen Spaziergänge, und wer ihn traf, bemerkte einen seltsam gequälten Ausdruck in seinem Gesicht, wenn er auch immer noch freundlich lächelte und keinerlei verbitterte Bemerkungen machte.
*
Und dann nahmen sich am 3. Dezember, einem Mittwoch, Roy Heyer, neun Jahre alt und Philip Moncrieff, zehn Jahre alt, Lonny Dewitt, seinerseits neun Jahre alt, unmittelbar außerhalb der Schule von New Brewster vor. Mr. Hallinan tauchte gerade am anderen Ende der Straße auf.
Lonny war ein seltsamer schweigsamer Junge, die Verzweiflung seiner Eltern und der ewige Prügelknabe seiner Klassenkameraden. Er war zurückhaltend, redete nur wenig, wurde meist in irgendeine Ecke gedrängt und blieb dann auch dort. Die Leute schüttelten den Kopf, wenn sie ihn auf der Straße sahen.
Roy Heyer und Philip Moncrieff hatten beschlossen, Lonny heute zum Reden zu bringen.
Sie schlugen ein paar Minuten auf ihn ein, dann sahen sie Mr. Hallinan kommen und rannten davon. Ihr Opfer blieb leise weinend auf der Schultreppe liegen.
Lonny blickte auf, als der Mann nähertrat.
„Haben sie dich geschlagen, wie? Ich sehe sie davonlaufen.“
Lonny weinte weiter. Er dachte: an diesem Mann ist etwas Eigenartiges. Aber er will mir helfen, will freundlich zumir sein.
„Du bist Lonny Dewitt, denke ich. Warum weinst du? Komm, Lonny, hör auf zu weinen. Sie haben dir doch nicht so weh getan.“
„Ich mag nicht reden“, sagte Lonny.
„Aber ich bin dein Freund. Ich will dir helfen.“
Lonny sah genauer hin und spürte plötzlich, daß der Mann die Wahrheit sagte. Er wollte Lonny helfen. Mehr als das, er mußte Lonny helfen. Verzweifelt. Er bettelte förmlich. „Sag mir, weshalb du weinst“, bat Mr. Hallinan noch einmal.
Okay, dachte Lonny, ich will es dir sagen!
Und er öffnete die Schleusen. Neun Jahre der Unterdrückung und der Qual ergossen sich in einer einzigen Woge über Hallinan.
Ich bin allein, und sie hassen mich, weil ich alles mit dem Kopf mache! Sie verstehen mich nicht, und sie denken, ich bin seltsam, sie hassen mich! Ich sehe, wie sie mich ansehen, und sie denken seltsame Dinge über mich, weil ich mit meinem Geist zu ihnen sprechen will und sie nur Worte hören können, und ich hasse sie, hasse sie, hasse, hasse …
Lonny hielt plötzlich inne. Er hatte alles herausgelassen, und jetzt war ihm besser. Er war von all dem Gift, das er seit Jahren in sich herumgetragen hatte, gereinigt. Aber Mr. Hallinan sah seltsam aus. Er war ganz bleich, und er taumelte.
Bestürzt tastete Lonny mit seinem Geist nach dem großen Mann. Und hörte:
Zu viel, viel zuviel. Hätte nie dem Jungen nahekommen dürfen. Welch eine Ironie des Schicksals: ich, der perfekte Empath, der Mann, den ein innerer Zwang zum Mitfühlen treibt, von einem Kind, das senden mußte, überladen und ausgebrannt!
… wie wenn
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