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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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klopft mein Herz, jetzt hat jemand ihn entdeckt. Und alles zerstört, was mir wichtig war. Meinen heiligen Ort. Diese Hütte. Ich hab sie mit Steffen gebaut, damals, ein paar Wochen, bevor sie gegangen ist.
    Kurz darauf sind wir dann weggezogen. Weg aus unserem Haus am Wald mitten in die Stadt. Dachgeschoss, fünfte Etage. Von heute auf morgen kein Garten, kein Baumhaus, keine Hängematte, kein Teich mit Fischen mehr. Von heute auf morgen alles weg. Der Wald, der Bach, das alte Ziegeleigelände. Auch die Hütte.
    « Das ist praktischer. Für uns alle. Ihr habt die Schule direkt vor der Tür, und ich kann zu Fuß in meinen Laden!»
    Damit war sie vorbei. Meine Kindheit. Jetzt gab es den Hort, und auf dem betonierten Hof einen Baum, ein Klettergerüst und einen Sandkasten. Und ich war ihnen ausgelie fert.
    Schon am ersten Tag:
    «Eine Mark, oder du kannst nicht aufs Klo!»
    Also hab ich mir abgewöhnt, aufs Klo zu gehen.
    Aber geheult habe ich nicht mehr.
    Die Hütte im Wald ... so lange es die noch gibt, weiß ich wohin. Wenn es so weit ist.
     
    Wie soll ich mich hier zurechtfinden ? Tausende strömen an mir vorbei. Die kennen sich aus. Die wissen wohin. Wa rum müssen diese verdammten Gesamtschulen bloß so groß sein?
    « Die 9 f?»
    «Keine Ahnung!»
    Das erste Klingelzeichen.
    Ich setze mich auf die Wiese vor dem Eingang. Der Himmel ist blau. Mein einziger Trost. Keine einzige Wolke. Noch ist es angenehm.
    Am Nachmittag wird man es nur noch im Schwimmbad aus halten können... Bei diesen Temperaturen besteht Hoffnung auf hitzefrei. Wenigstens das.
    Jetzt nur noch hier und da ein paar Verschlafene, Verspätete. Es ist acht Uhr. Und es hat geklingelt.
    Was soll ich tun?
    Da kommt ein schwarzes Rad über den Hof gefegt. Ein Mäd chen springt ab. Sportlich, kräftig, dynamisch! Sie kommt mir bekannt vor. Sehr bekannt. Das muss ewig lange her sein ... Sie ist es! So ein Mädchen gibt es kein zweites Mal. Mein Herz klopft. Ich wage es.
    Ich habe schließlich nichts mehr zu verlieren. An einem Tag wie diesem.
    «Eva?»
    Sie dreht sich um. Schaut mich an. Mit diesen Augen, groß und braun. Evas Augen. Auf der dicken, runden Nase im mer noch die Sommersprossen. Wie Pippi Langstrumpf...
    Sie zögert. Dann kraust sie die Stirn und die runde Nase. Wie damals schon.
    «Mensch, Zeno!»
    Sie lacht. Dieses breite Lachen. Eva hat immer gelacht.
    «Kann das sein? Zeno Zimmermann, meine erste Liebe! Ich werd wahnsinnig!»
    Sie kommt näher. Jetzt steht sie vor mir. Ihre Haare rot. Dieses ganz besondere Kupferrot. Nur kürzer als früher. Superkurz. Im linken Ohr drei Silberringe. Sie fällt mir um den Hals und drückt mir die Luft fast ab. Ein schönes Gefühl, auch wenn ich jetzt ersticke ...
    Aber der Erstickungstod ist nicht eingeplant. Sie lässt mich los.
    «Du Schuft!», sagt sie und guckt jetzt ein wenig finster. Ein wenig zum Fürchten. «Eigentlich wolltest du mich ja nie wirklich. Weißt du über haupt, was du mir an getan hast? Nachdem dieser Stef fen auftauchte, hatte ich keine Chance mehr. Ihr klebtet zusammen wie siamesische Zwillinge. Dabei hab ich dich zu jedem Geburtstag eingeladen. Sieben Jahre lang. Erinnerst du dich noch?»
    «Ich such die 9 f!», sage ich, um das Thema zu wechseln.
    «Das passt endlich mal! Da muss ich auch hin. Eine letzte Chance, dich abzuschleppen!»
    Jetzt grinst sie. Total verführerisch.
    Mir wird schwindelig. Mein Mund ist trocken, und mir ist seltsam komisch im Bauch.
    «Was findest du eigentlich an mir?»
    «Du bist anders als die anderen. Deshalb hast du mich im mer schon fasziniert. Schon mit drei! Du hast nicht bloß blöd mit Pistolen rumgeballert, Fußball gespielt, die Mädchen geär gert und den großen Macker gespielt. Nein. Dein Reich war die Puppenecke. Am liebsten hast du gekocht. Menüs mit fünf Gängen. Aus Nüssen, Kastanien, Steinen, Tannen zapfen und dicken weißen Bohnen. Und jeden Tag hast du die Puppen neu angezogen. Stell dir das vor! Jeden Tag. Alle sechzehn Puppen, die es in unserer Gruppe gab. Eine echte Leistung! Du warst der einzige Junge, den ich nett fand. Und deshalb war ich auch total sauer auf diesen Steffen. Als der auftauchte, war ich für dich abgeschrieben. Mit dem hast du dann immer Höhlen gebaut. Erinnerst du dich?»
    Natürlich erinnere ich mich. Aber ich will nicht. Daran will ich mich nicht erinnern.
    Sie fährt sich mit der Hand durch ihre Kupferstoppeln.
    «Ich finde, du hast dich nicht sehr verändert. Drei Jahre Kindergarten, vier Jahre

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