Tür ins Dunkel
sechs Jahren nicht gesehen hatte, kannte sie ihn vermutlich besser als jeder andere Mensch, und da sie zudem noch Psychologin war, bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß sie erkennen würde, worum es bei Dylan McCaffreys Forschungen und Experimenten eigentlich gegangen war. Und Dan hatte das Gefühl, daß er diese Mordfälle nicht lösen und Melanie nicht finden konnte, wenn er nicht wußte, was Dylan McCaffrey hier getrieben hatte. Laura betrat das Labor dicht hinter Haldane. Er beobachtete sie aufmerksam. Ihr Gesicht drückte Erstaunen, Verwirrung und Unbehagen aus. Die ehemalige Garage, in der zwei Wagen Platz hatten, war in ein großes Zimmer verwandelt worden-ein fensterloses, grausam düsteres Zimmer. Graue Decke. Graue Wände. Grauer Teppich. Leuchtstoffröhren an der Decke, verkleidet mit hellgrauem Plastik. Sogar die Griffe des grauen Schiebetürenschrankes waren grau gestrichen, ebenso die Heizkörper. Es gab keinen einzigen Farbtupfer in diesem Raum, der nicht nur kalt und völlig unpersönlich war, sondern geradezu den Eindruck eines riesigeil Sarges erweckte.
Der auffälligste Einrichtungsgegenstand war ein Metalltank, der an eine altmodische eiserne Lunge erinnerte, aber wesentlich größer war. Auch dieser Tank war grau gestrichen. Rohre führten von ihm in den Fußboden hinein, und ein Stromkabel verband ihn mit einer Abzweigdose an der Decke. Über drei transportable Holzstufen gelangte man zur Einstiegsluke des Tanks, die geöffnet war. Laura stieg die Stufen hinauf und spähte ins Innere. Haldane, wußte, was sie vorfinden würde: Schwärze, nur ganz schwach erhellt durch das wenige Licht, das durch die Luke einfiel; leises Plätschern von Wasser, hervorgerufen durch die Vibrationen der Stufen, die gegen des Metall stießen; einen feuchten, leicht salzigen Geruch.
»Wissen Sie, was das ist?« fragte er. Sie stieg die drei Stufen hinab. »Gewiß. Eine Vorrichtung zur sensorischen Deprivation.«
»Was hat er damit gemacht?«
»Sie möchten etwas über die wissenschaftlichen Anwendungsbereiche wissen?« Haldane nickte. »Nun«, erklärte Laura, »man füllt den Tank mit Wasser - etwa 60 bis 80 Zentimeter hoch... Genauer gesagt, man verwendet eine zehnprozentige Magnesiumsulfatlösung, um das spezifische Gewicht des Wassers zu erhöhen und dadurch einen maximalen Auftrieb zu erhalten. Man erwärmt das Wasser auf knapp 36° C - das ist jene Temperatur, bei der ein schwimmender Körper am wenigsten der Schwerkraft unterworfen ist. Je nach Art des Experimentes wird das Wasser manchmal aber auch auf 36,6° C erwärmt, das heißt auf normale Körpertemperatur...«
»Werden diese Experimente an Tieren oder an Menschen duchgeführt?«
Seine Frage schien sie zu überraschen, und er kam sich sehr ungebildet vor. Aber als sie ohne jede Herablassung oder Ungeduld Auskunft gab, verloren sich seine Minderwertigkeitskomplexe sogleich wieder.
»An Menschen«, sagte sie. »Die betreffende Person zieht sich aus, steigt in den Tank, schließt hinter sich die Luke und schwimmt in totaler Dunkelheit, in totaler Stille.«
»Wozu?«
»Um von jedem sensorischen Reiz frei zu sein. Man sieht nichts. Man hört nichts. Auch Geruchs- und Geschmackssinn werden nur minimal stimuliert. Man spürt sein Eigengewicht nicht, man verliert das Gefühl für Zeit und Raum.«
»Aber wozu sollte jemand das durchmachen wollen?«
»Nun, ursprünglich, als die ersten Tanks erfunden wurden, wollte man auf diese Weise herausfinden, was passieren würde, wenn man jemanden fast aller äußeren Stimuli beraubte.«
»Ja? Was ist passiert?«
»Keineswegs das, was man eigentlich erwartet hatte. Keine Klaustrophobie. Keine Wahnvorstellungen. Ein kurzer Moment der Angst, ja, aber danach eine nichtunangenehme Aufhebung von Zeit und Raum. Das Gefühl, eingesperrt zu sein, verschwand nach ein bis zwei Minuten. Manche Versuchspersonen berichteten später, sie hätten geglaubt, unendlich viel Raum zur Verfügung zu haben. Wenn das Gehirn nicht von äußeren Stimuli beansprucht wird, entdeckt es eine ganz neue Welt innerer Stimuli.«
»Halluzinationen?«
Sie hatte für den Augenblick ihre Ängste vergessen. Ihr leidenschaftliches Interesse für ihr Fachgebiet war unverkennbar, und Dan stellte fest, daß sie eine natürliche Begabung für einen Lehrberuf gehabt hätte. Es machte ihr sichtlich Freude, Erklärungen abzugeben. Wissen zu vermitteln.
»Ja, manchmal kommt es zu Halluzinationen^ sagte sie. »Aber es sind keine beängstigenden
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