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Twitteratur - Weltliteratur in 140 Zeichen

Titel: Twitteratur - Weltliteratur in 140 Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmett Rensin , Alexander Aciman
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Einleitung
     
    Das Leben hat keinen größeren Schatz zu bieten als die Kunst. Sie ist alles, was schön ist, und alles, was es der Seele des Menschen ermöglicht, die Bagatellen des Alltags, die seinen wachen Geist belästigen, hinter sich zu lassen, aufzustreben zu den höchsten Gipfeln der Erkenntnis und einen Blick auf das Erhabene zu erhaschen. Alles, was den Menschen aus dem statischen Abglanz der Zeit herauslöst und ihn in die lauen Wasser der Ewigkeit eintauchen lässt. Sanft und leise spricht er dann in den lieblichen Zungen der Vorzeit, und er ermisst alles, was sich im endlos reifenden Vorüberziehen unserer Welt entfalten wird.
    Kurz gesagt, Kunst ist wirklich klasse.
    Welch Trauerspiel also, dass so vielen Menschen der modernen Welt die großen Werke der Literatur so unzugänglich erscheinen, überwältigend und manchmal gar langweilig. Das liegt nicht an einem Charakterfehler oder an irgendeiner besonderen Albernheit, der sie eben unterworfen wären; vielmehr sind diese großen Texte – so zeitlos sie auch sein mögen – in ihrer überlieferten Form veraltet. Wer außer Erstsemestern und Eremiten kann sich mit irgendeiner Hoffnung auf Verstehen durch sie hindurchwühlen? Und genau dagegen versuchen wir mit unserem bescheidenen Bemühen Abhilfe zu schaffen.
    Manch einer mag den neu erdachten Wortlaut unserer großen Weltliteratur in Anpassung an das stets sich fortentwickelnde Gehirn des modernen Menschen als »trivial«, als »entstellende Karikatur« oder als »reine Scheiße« abtun, wir aber sehen uns lieber als den Martin Luther von heute. Luther nahm sich nichts Geringeres vor als die Heilige Schrift. Und da er sah, dass die klassische Vulgata den Seelen seiner Zeitgenossen nichts mehr zu sagen hatte, übersetzte er siein die Volkssprache seiner Zeit. Damit trat er im Europa des 16. Jahrhunderts eine Glaubens- und Bildungsrevolution los, wie es sie noch nie gegeben hatte und wie sie seither unerreichbar geblieben ist.
    Auf unsere Weise und in unserer eigenen Zeit hoffen wir, dasselbe zu tun.
    Allerdings wird es besser sein, wenn wir uns von der Bibel fernhalten.
    Sie werden sich, liebe Leser, vielleicht fragen, was genau wir mit diesen großartigen Kunstwerken vorhaben. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass der Literaturkanon nicht etwa wegen seiner zigtausend öden, öden Wörter so hoch im Ansehen steht, sondern wegen der schieren Einsicht in das Wesen der Menschheit, die er bietet. Vielleicht war in der Sommerfrische eines viktorianischen Landhauses im Jahr des Herrn siebzehnhundertdreiundsiebzig ein sperriger Leinenband die beste Methode, dieses Wissen zu verdauen – aber die Zeiten haben sich geändert. Heute wird Jungfräulichkeit nicht mehr mit Büchern zerstreut, der Jagdtrieb auf Mädchen nicht mehr mit Poesie bezähmt. Stattdessen müssen wir ungebunden in die Welt hinauslaufen, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
    So zeigen wir Ihnen denn Mittel und Wege auf, die kraftvollen Stimmen, die kostbaren Lektionen und stilistischen Neuerungen der Alten aufzusaugen, ohne die lästige Pflicht stundenlanger Lektüre auf sich nehmen zu müssen. Wir nehmen uns diese Meisterwerke vor und präsentieren sie in ihren wesentlichen Elementen in der verdichteten Sprache des Twitterns – diese IT-Anwendung in Form eines sozialen Netzwerks, die mit der Begrenzung auf 140 Zeichen pro Nachricht (einschließlich Leerzeichen) unter Rücksichtnahme auf das kurzzeitkonzentrierte, dauerdigitale, selbstgefällige Zeitalter der Informationsüberflutung das Instant-Publishing auf seine Reinform reduziert hat – und stellen Ihnen damit alles zur Verfügung, was Sie brauchen, um die Literatur der zivilisierten Welt zu bewältigen.
    Kann denn irgendjemand derart der Selbsttäuschung unterliegen, dass er sich anmaßt, er könnte alles verdauen, was zu verdauen für ihn recht und billig ist, und das in der kurzen Lebensspanne, die ihm die Vorsehung zugestehen mag? Vielleicht saßen Sie einmal in Ihrem 18. Lebensjahr auf einer Veranda und fragten sich: Was genau versucht Hamlet mir eigentlich zu sagen? Warum muss er Wort und Sinn im Lyrischen verschleiern und, kurz gesagt, den Wald hinter lauter Bäumen verstecken? Solche Fragen müssen natürlich verstören – und wir glauben, sie hätten sich in Wohlgefallen auflösen lassen, wenn der Prinz von Dänemark ein registrierter User auf Twitter.com und in den Eigentümlichkeiten und Idiomen der modernen Welt beschlagen gewesen wäre. Genau das nun haben wir im Kern

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