Tybee Island
doch nur nach einer Ausrede, um alles hinzuschmeißen.«
»Es ist ihre Entscheidung.«
»Du gottverdammter Dreckskerl«, rief Jens Vater und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Craig riss die Augen auf. Außer von seinen Ausbildern beim Militär hatte er sich in seinem Leben nur selten beschimpfen lassen müssen. In der Regel mochten ihn die Leute, oder sie fürchteten ihn.
»Was glaubst du eigentlich, für wen du das hier machst?«, fragte Mr. Garnett. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er ihn.
Ohne zu blinzeln erwiderte er den Blickkontakt. Er hatte zu viel erlebt, als dass er von dem Wutausbruch beeindruckt gewesen wäre. Er wusste nur nicht genau, worauf Mr. Garnett hinauswollte.
Jens Vater beugte sich zu ihm. »Für wen machst du das hier?« , fragte er leise. »F ür Jen oder für dich selbst ? «
Schweigend spazierte Jen mit ihrer Mutter am Strand entlang. Der Sand hatte längst seinen Weg in ihre Sandalen gefunden, doch das bemerkte sie kaum. Sie hing viel zu sehr ihren Gedanken nach.
Es überraschte sie nicht, dass ihr Vater darauf bestand, dass sie mit ihm ging. Schon immer hatte er ihr gegenüber eine autoritäre Haltung eingenommen. Hatte vorgegeben, welches College sie besuchte, was sie anschließend studieren sollte und ein Stück weit sogar, mit welchem Mann sie verlobt sein sollte. Sie hatte es bisher immer stillschweigend hingenommen, hatte sich nie wirklich gegen ihn aufgelehnt.
Bis heute.
Um nichts auf der Welt würde sie Tybee Island mit ihren Eltern verlassen und Craig allein zurücklassen. Das Bemerkenswerte daran war, dass es ihr dabei noch nicht einmal um sie ging. Sie wollte sich nicht in einem Anfall von spätpubertärem Trotz ihrem Vater widersetzen, ihm seine Grenzen zeigen. Es ging ihr einzig und allein um Craig.
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und betrachtete die unendlichen Weiten des Ozeans. Noch vor wenigen Wochen hatte sie diesen Anblick nur schwer ertragen. Die Ruhe und der Frieden, die darin lagen, hatten sie nur umso deutlicher daran erinnert, wie chaotisch und verkorkst ihr Leben war. Heute hatte sie das Gefühl, dass der Frieden, der über diesem Wasser lag, ihr Innerstes widerspiegelte. Das verdankte sie Craig.
Sein Glaube und sein Vertrauen hatten ihr das Selbstbewusstsein gegeben, um zu erkennen, was sie für ihr eigenes Leben wollte. Sie wollte vor allem ihr Leben nicht mehr nach den Vorstellungen anderer leben, nicht mehr nur die Erwartungen anderer erfüllen, sondern endlich wieder ihre eigenen.
»Was ist das zwischen Craig und dir?« Ihre Mutter sah sie von der Seite fragend an.
Jen richtete ihren Blick erneut auf das offene Meer, auf ein Segelboot, das gerade dabei war, am Horizont zu verschwinden. »Ich mag ihn.«
»Und du willst bei ihm bleiben?«
Sie wandte sich um und sah ihrer Mutter in die Augen. »Ja.«
Ihre Mutter nickte und schweigend setzten sie ihren Spaziergang fort. »Was ist mit seinem Knie passiert?«, wollte sie nach einer Weile wissen.
Jen blinzelte. Craig achtete immer gut darauf, dass seine Narben niemand zu Gesicht bekam. Das ging so weit, dass er sich weigerte, dem Pizzaboten die Tür zu öffnen oder fluchtartig das Haus verließ, wenn die Putzfrau kam. Und selbst, nachdem Jen die Narben einmal gesehen hatte, versteckte er sie weiterhin unter langen Shorts. Aber nicht heute. »Er ist bei einem Einsatz verletzt worden.« Warum versteckte er sie heute nicht? Aus irgendeinem Grund störte sie diese Veränderung.
»Aber es geht ihm wieder gut?«
Jen nickte. Auch wenn sie sich nicht sicher war, ob dies der Wahrheit entsprach. Ging es ihm wieder gut? Er sprach nicht darüber. Und j ede Nacht plagten ihn Albträume.
»Du wirkst verändert.«
»Inwiefern?«
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Ausgeglichener. Ruhiger als sonst. Als hättest du endlich den Ort gefunden, an den du gehörst.«
Jen schmunzelte. Nicht den Ort, aber vielleicht den Menschen, zu dem sie gehörte.
Craig überreichte Jen die schmutzigen Kaffeetassen und lächelte sie an. »Na, alles gut überstanden?«
»Mein Vater hat meinen Entschluss letztlich ja ganz friedlich aufgenommen.« Sie nickte und räumte das restliche Geschirr nacheinander in den Geschirrspüler.
Er beobachtete sie, lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Mr. Garnett hatte noch mehrmals versucht, auf sie einzureden und sie davon zu überzeugen, mit ihnen zu gehen. Aber sogar Jens Mutter meinte, er solle es gut sein
Weitere Kostenlose Bücher