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Tyrann Aus Der Tiefe

Tyrann Aus Der Tiefe

Titel: Tyrann Aus Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schritt schweigend neben mir her.
    Es war eine seltsame, karge Landschaft, durch die wir gingen. Ich hatte keine bestimmten Vorstellungen von England gehabt, als wir New York verließen – aber dieses karge, von niemals ganz verebbendem Wind und einer kaum mit Worten zu beschreibenden Leere erfüllte Land überraschte mich doch. Dies war jedenfalls nicht das England, von dem mir mein Vater erzählt hatte.
    Aber schließlich waren unser Ziel auch nicht die nördlichen Highlands gewesen, sondern London. Und es grenzte schon an ein Wunder, dass wir die Küste überhaupt lebend erreicht hatten.
    Eine Stunde verging, dann zwei. Der Pfad schlängelte sich in sinnlos erscheinenden Kehren und Windungen bergab, und der blaue Küstenstreifen wuchs langsam vor uns heran. Ich fühlte mich beklommen, stärker, je mehr wir uns der Stadt näherten. Vielleicht waren Bannermanns Befürchtungen doch nicht so haltlos, wie ich mir einzureden versuchte. Man würde uns fragen, warum wir nicht nach Durness gegangen waren, kaum fünf Meilen von der Stelle entfernt, an der das Schiff zerschellt war. Statt dessen hatten wir den nördlichen Teil der britischen Insel (der an dieser Stelle allerdings kaum vierzig Meilen maß) zur Gänze durchwandert und nun die gegenüberliegende Küste erreicht. Was sollte ich antworten, wenn man mir diese Frage stellte? Dass unser einziger Wunsch gewesen war, möglichst schnell und möglichst weit von der Küste wegzukommen, vom Meer und dem Monster, das auf seinem Grunde auf uns lauerte? Kaum.
    Bannermann berührte mich am Arm und riss mich aus meinen Überlegungen. Ich sah auf und blickte ihn fragend an, aber Bannermann erwiderte meinen Blick nicht, sondern sah an mir vorbei nach Süden. Ich folgte seinem Blick.
    Beinahe parallel zu der Stelle, an der wir uns befanden, und weniger als eine halbe Meile von der Straße entfernt, lag ein kleiner, runder See. Im grellen Licht der Vormittagssonne glänzte er wie eine gewaltige Silbermünze, die ein verspielter Riese zwischen die Hügel geworfen hatte, und der Ring saftigen grünen Gebüsches und Unterholzes um sein Ufer hob sich angenehm von der kargen Heidelandschaft ab.
    »Ein See«, sagte Bannermann überflüssigerweise. »Was halten Sie davon, wenn wir hinübergehen und uns einen Moment ausruhen?«
    Ich wollte widersprechen, aber ein Blick in die Gesichter der Männer, die uns begleiteten, ließ mich abrupt verstummen. Ich war bisher der Meinung gewesen, als einziger müde und zerschlagen zu sein, aber das stimmte nicht. Wir waren alle mit unseren Kräften am Ende. Und es spielte keine Rolle, ob wir eine halbe Stunde früher oder später nach Goldspie kamen. So nickte ich nur wortlos.
    Bannermann gab seinen Männern einen stummen Wink. Wir verließen die Straße und bewegten uns im rechten Winkel von ihr fort und auf den See zu. Das Gehen auf dem rohen, unbearbeiteten Boden war weniger schwierig, als ich erwartet hatte, und wir brauchten kaum zehn Minuten, um den See zu erreichen.
    Die Stille fiel mir auf. Hatte uns bisher außer dem monotonen Lied des Windes auch hier und da das Zwitschern eines Vogels und ein gelegentliches Huschen und Flüchten im Gebüsch begleitet, so schienen wir uns jetzt durch ein Gebiet absoluten Schweigens zu bewegen. Selbst das Geräusch des Windes wurde leiser und unwirklicher, je mehr wir uns dem See näherten.
    Ich vertrieb auch diesen Gedanken und zwang mich, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Ich war nervös und überreizt, das war alles.
    Neben Bannermann erreichte ich den See, balancierte mit ausgebreiteten Armen die nicht sehr hohe, aber steile Böschung hinunter und ließ mich dicht vor der Wasserlinie zu Boden sinken. Ich merkte plötzlich wieder, wie müde ich war.
    »Das muss Loch Shin sein«, murmelte Bannermann halblaut. »Ich dachte, es wäre größer.«
    »Loch was?«, machte ich.
    Bannermann lächelte flüchtig. »Loch Shin«, wiederholte er. »Die Einheimischen nennen diese kleinen Seen Loch.« Er schwieg einen Moment, und dem breiter werdenden Grinsen auf seinen Zügen nach zu schließen, musste mein eigener Gesichtsausdruck mit jedem Moment intelligenter werden.
    »Der Name ist nicht so unpassend, wie Sie vielleicht denken, Craven«, sagte er. »Tauchen Sie die Hand ins Wasser.«
    Ich zögerte noch einen Moment, zuckte dann mit den Achseln und tauchte die Linke bis zum Handgelenk in das reglos daliegende Wasser des Sees.
    Ich zog sie allerdings genauso schnell wieder zurück. Das Wasser war mehr als

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