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Über Bord

Titel: Über Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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im Ernstfall doch zu feige für eine entschlossene Tat gewesen? Hatte er diese Mail aus purer Vorsicht nicht abgeschickt oder seinen Plan bereits wieder verworfen?
    Und was jetzt? Sollte sie die Unterschlagung des USB -Sticks zugeben und Gerd beschuldigen, seine Frau umgebracht zu haben, denn der Brief kam ja einem Geständnis gleich? Ihn erpressen? Am Ende würde er ihr dann auch nach dem Leben trachten. Den Teufel werde ich tun, dachte Ellen. Und auf keinen Fall würde sie nach dem heutigen frustrierenden Besuch bei ihm anrufen, erst wollte sie sich von ihrem Schock erholen und abwarten, wie sich die Sache entwickelte.
    Eine Woche später erhielt die Familie Tunkel eine schwarzumrahmte Anzeige:
    Wir trauern um Ortrud Dornfeld,
die durch einen tragischen Unglücksfall
allzu früh ihr Leben verlor.
    GERD DORNFELD
BEN DORNFELD
FRANZISKA DORNFELD
    Darunter standen die genauen Daten von Geburt und Tod, Ort und Termin der Beisetzung sowie ein kurzer handschriftlicher Gruß. Von einer Seebestattung war nicht die Rede. Ellen beschloss, sich für die Beerdigung freizunehmen und nach Frankfurt zu fahren. Amalia sagte rundheraus, dass sie keine Lust hätte, ihre Freizeit auf einem Friedhof zu verbringen. Außerdem wolle sie nicht heucheln, denn der Tod von Madame Doornkaat gehe ihr nicht sonderlich nahe. Clärchen wurde gar nicht erst gefragt.
    Auch Hildegard schüttelte ärgerlich den Kopf: »Warum sollte ich? Diesem Gerd zuliebe mich ins Auto setzen? Der kommt bestimmt nicht her, wenn ich mal dran bin!«
    Später erfuhr Ellen, dass ihre Tochter für den bewussten Tag bereits einen anderen Plan hatte: Sie wollte mit Uwe und der Großmutter zu einem Juwelier fahren, wo der grüne Jadering aufgesägt und anschließend für Amalia passend gemacht werden sollte. Außerdem hatte Hildegard einen Termin mit dem Notar vereinbart, um die Villa endgültig ihrer jüngsten Tochter zu schenken. Es schien fast so, als wolle sie ihre Hinterlassenschaft regeln.
    Ellen sprach mit Matthias, der es für eine Selbstverständlichkeit hielt, der Frau eines nahen Verwandten die letzte Ehre zu erweisen. Er habe schon mit Holger, Christa und Lydia gesprochen, die leider alle weder Zeit noch Interesse hatten, an der Trauerfeier teilzunehmen.
    »Sie werden aber Blumen schicken, Briefe schreiben und einen späteren Besuch in Aussicht stellen«, entschuldigte Matthias seine Geschwister. »Sie kennen ihren Halbbruder nicht so gut wie ich und haben Ortrud nur einmal beim Familientreffen gesehen. Aber Gerd wird es sicher guttun, wenn Brigitte, du und ich unser Mitgefühl ausdrücken und anschließend auch mit ins Restaurant kommen. So gehört sich das schließlich.« Und er schlug vor, dass Ellen ihren Wagen bei ihm abstellen sollte, um gemeinsam mit ihnen zum Friedhof zu fahren.
    Ellen konzentrierte sich, so gut es ging, auf die Autobahn, obwohl sie auch dieses Mal wieder in Grübeleien versank. Sie trug einen alten schwarzen Regenmantel, hatte einen kleinen Kranz mit rosa Rosen aus dem Garten dabei und den USB -Stick in der Hosentasche. Nach langem Abwägen hatte sie beschlossen, Franziska oder Ben – Gerds Kindern – den anrüchigen Gegenstand zu übergeben, um wenigstens in irgendeiner Form Rache zu üben. Er hat nur mit mir gespielt, dachte sie, er fand es amüsant, dass ich wie ein Teenager entflammt war und mich ihm mehr oder weniger an den Hals geworfen habe. Seit geraumer Zeit liebt er eine Studentin und wollte Ortrud nur ihretwegen loswerden, nicht etwa, um mit mir ein neues Leben zu beginnen. Seine Kinder sollen erfahren, dass ihr ehrenwerter Papa die Mama auf dem Gewissen hat. Womöglich war die arme Ortrud nur deswegen dem Suff verfallen, weil sie sich über Gerds Affären so grämte. Beinahe reute es sie, ihm zugearbeitet zu haben.
    Ellen kam etwas zu spät und wurde von Brigitte in einem schwarzen Kostüm sowie Matthias im dunklen Anzug empfangen. Unverzüglich machten sie sich auf den Weg und betraten wie düstere Krähen den Platz am Haupteingang des Friedhofs. Dort hatten sich bereits andere Trauergäste versammelt, bevor alle gemeinsam die Aussegnungshalle betraten und sich dort niederließen.
    Es war nicht schwer, Gerds Kinder ausfindig zu machen, denn sie waren die einzigen jungen Menschen, die zudem nicht völlig schwarz gekleidet waren. Sie saßen neben einem alten Männlein im Hintergrund, während ihr Vater in der vordersten Reihe von einer Gruppe distinguierter Damen und Herren umringt wurde; Gerds junge Freundin war wohl

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