Über das Verbrennen von Büchern (German Edition)
Hölle war los. Als die Konservativen heiser wurden, brüllte Bley, die Geduld seiner Parteigenossen sei nun zu Ende. Und die Geduld des Doktor Goebbels gleicherweise. Ihre Vorstandsliste sei ohne jede Änderung zu genehmigen. Und zwar binnen der nächsten zehn Minuten. Widrigenfalls würden sie die Sitzung in corpore verlassen und dem Minister sofort Meldung machen. Dieser habe ihnen erklärt, dass er bei Ablehnung ihrer Liste rundweg eine Verbandsbildung überhaupt verbieten werde.
Die Deutschnationalen schwiegen betroffen. Die SA -Dichter legten die Uhren auf den Tisch. Walter Bloem, der an einem Tisch in meiner Nähe saß, röteten sich die studentischen Schmissnarben. Sein Nachbar, der Arbeiterdichter a.D.
Max Barthel,
der damals sein Glück als nationalsozialistischer Poet zu versuchen begann, trank mir heimlich grinsend zu und, wohl weil er sich noch immer als Arbeiter fühlte, gleich aus der Flasche. Er schien verwundert, dass ich ihn für Luft hielt. Zobeltitz ersuchte die Pegasus- SA um einen parlamentarischen, freiheitlichen Fortgang der Sitzung und der Wahl. Einer von ihnen blickte gelangweilt auf die Uhr und sagte knapp: »Noch fünf Minuten.« – Nach Ablauf der Frist war die Liste akzeptiert. Die Gegner unterlagen der Drohung, der Erpressung, der Gewalt und machten erstaunte Kinderaugen.
Auf dem Heimweg überlegte ich mir genau, ob auch nur einmal Worte wie »Literatur«, »Dichtung«, »Schriftstellerei« oder etwas Ähnliches am Rande erwähnt worden waren. Nein, nicht ein einziges Mal. Für einen Uneingeweihten hätte es ebenso gut eine Sitzung des Braunkohlensyndikats oder der Schnürsenkelkleinverteiler sein können. Irgendeine beliebige Sitzung zur Knebelung nichtnationalsozialistischer Verbandsmitglieder.
*
Ein halbes Jahr später schrieb
Paul Oskar Höcker
an Herrn Rassy in Witten, Röhrchenstraße 10 : »Ich kann Ihnen nur aus ehrlicher Überzeugung darin beipflichten, dass es zu den unerhörtesten Gräuelmärchen gehört, wenn im Ausland behauptet wird: die geistige Freiheit wäre in Deutschland erschlagen worden und die Dichter liefen alle mit dem Maulkorb herum. Wer irgendwelche persönlichen Beziehungen zu deutschen Schriftstellern unterhält, wird längst über diese hetzerischen Lügen aufgeklärt worden sein.«
Der Arzt und Nibelunge Professor Dr. med. et phil.
Werner Jansen
erklärte scheinbar verblüfft: »Gibt es wirklich im Ausland Narren, die Deutschland so falsch sehen? Wir sind das einzige Volk der Welt, dem die Freiheit gegeben wurde, zu sich selbst zu kommen. Wir haben, gottlob, noch genügend preußische Zucht in uns, um uns dieser Freiheit zu bedienen. Heil Hitler!« Der zarte Poet
Max Jungnickel
meinte entrüstet: »Wo nehmen nur die sogenannten ›Emigranten‹ den Mut her?! … Wenn sie nur ahnten, wie heute die deutsche Seele befreit aufatmet, wenn sie nur wüssten, wie erledigt und vergessen sie heute schon sind!« Und
Hanns Johst
durfte natürlich auch nicht fehlen. Er schrieb: »Das Ausland arbeitet in seiner Gräuelpropaganda mit dem Schlagwort des Maulkorbes für Geistige im Dritten Reich. Die Tatsache dieser Verdächtigungen genügt als Feststellung; denn was aus diesen Quellen kommt, ist immer Lüge? … Für die Freiheit des geistigen Deutschland garantiert das Niveau der Deutschen Akademie der Dichtung.«
So gingen damals die Hüter des Worts mit Worten wie Freiheit, Geist, Dichtung, Ehrlichkeit und deutsche Seele um. Solche Lügner waren sie geworden. Und heute will’s keiner gewesen sein! Es war schon schlimm genug, dass sie der Knebelung und Vergewaltigung der deutschen Literatur stumm und fromm zusahen. Dass sie aber diese äußerste Sklaverei gar noch als Freiheit des Geistes priesen und besangen, das ist ein geradezu unfasslicher, das ist der niederträchtigste Verrat an ihrer Aufgabe, der sich ausdenken lässt. Es ist kein Wunder, dass die braune Parteibürokratie diesen Leuten das Einzige entgegenbrachte, was sie verdienten: Verachtung.
Als ich, etwa ein Jahr später, Ende 1934 , mit dem damaligen stellvertretenden Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, einem Doktor Wißmann, zu sprechen hatte und ihm sagen musste, dass wir uns unter anderem vielleicht auch deswegen so überhaupt nicht verstünden, weil er kein Fachmann sei, und ich mich deshalb etwas lieber statt mit ihm mit seinem Vorgesetzten, dem Präsidenten
Hans Friedrich Blunck,
unterhalten wolle, der doch wenigstens ein Berufskollege von mir sei, erwiderte Wißmann, höhnisch lächelnd
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