Ueber Den Deister
aufgelauert, ihn mit einem Holzknüppel bewusstlos geschlagen und ausgeraubt. Eigentlich war der Junge nur hinter Bargeld her, aber er fand in der Brieftasche seines Opfers dessen Kreditkarte. Die hätte ihm nicht viel genützt, wenn der Wanderer nicht aus Angst vor seiner eigenen Vergesslichkeit die dazugehörende PIN in seinem Taschenkalender notiert hätte, den der Täter ebenfalls mitnahm. Der junge Mann fuhr mit der S-Bahn nach Hannover, um dort im Bahnhof an einem Geldautomaten den höchstmöglichen Betrag abzuheben. Er war als Verbrecher unerfahren und wusste nicht einmal, dass heutzutage Geldautomaten mit Kameras überwacht werden. So konnte man ihn ohne große Mühe identifizieren, und dann war es nur noch eine Routinesache, ihn zu verhaften.
Ein weiteres Ereignis, das Brenners Leben verändert hatte, war der Tod seines Vaters. Nicht so sehr der Tod selbst, sondern die Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Brenner hatte an seinem Vater gehangen, vor allem nach dem Tod der Mutter vor einigen Jahren. Beide hatten ihre gegenseitige Zuneigung selten mit Worten oder Gesten gezeigt, trotzdem hatten sie regelmäßig Zeit miteinander verbracht. Brenner erledigte im Schrebergarten seines Vaters die schweren Arbeiten, denen der alte Mann nicht mehr gewachsen war. Dabei fluchte und stöhnte er leise vor sich hin, aber so, dass sein Vater es nicht hörte. Brenner selbst lag nichts an dem Garten, die Arbeit war eine Last für ihn. Seinem Vater jedoch bedeutete das Grundstück sehr viel, denn nur dort könne er – wie er sagte – mit seiner verstorbenen Frau sprechen. Als der Vater vor einem Jahr gestorben war, gab es für Brenner keine Notwendigkeit mehr für die ungeliebte Gartenarbeit. Nach einer Zeit des Trauerns gab er das Grundstück an den Kleingartenverein zurück und tauchte dort nie wieder auf. Als Ersatz für die Schinderei im Garten wandte er sich dem Bau von Modellflugzeugen zu. Er trat einem Klub bei, der sich einmal in der Woche traf, kleine Flugzeuge zusammenklebte, dabei über den Sinn des Lebens philosophierte und nebenher einen oder zwei Schoppen Wein trank. Als Nächstes wollte Brenner Segelfliegen lernen, vielleicht sich sogar zu einem Kurs im Fallschirmspringen anmelden. Das musste er aber erst noch mit Anja diskutieren.
Anja war das Schönste, was sein Leben verwandelt hatte. Brenner war zu Matuscheks Lebzeiten schon einmal mit ihr befreundet gewesen, aber die Beziehung hatte nicht lange gehalten. Er war damals zu dem Schluss gekommen, dass Anja noch nicht reif für eine ernsthafte Bindung war, sie erschien ihm zu oberflächlich und zu sehr auf ihr Äußeres fixiert. Als sie sich ein Jahr später zufällig an der Kasse eines Supermarktes wiedertrafen und einem Gespräch nicht ausweichen konnten, fühlte er sofort, dass Anja sich verändert hatte. Sie setzten ihre Unterhaltung in einem Café fort und merkten, dass sie sich gegenseitig nicht mehr so abscheulich fanden wie am Ende ihrer ersten Beziehung. Jetzt waren sie seit einem halben Jahr zusammen, vor einem Monat waren sie in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Brenner war sich sicher, eine Entscheidung getroffen zu haben, mit der er für den Rest seines Lebens leben wollte.
Anja erzählte ihm nicht alle Einzelheiten darüber, wie es zu Hause bei den Matuscheks zugegangen war, aber genug, dass er wusste, wie schwer sie es wegen des Starrsinns ihres Vaters gehabt hatte. Das deckte sich mit seinen eigenen Erfahrungen mit diesem Mann und überraschte ihn daher nicht. Während seiner ersten Freundschaft mit Anja hatte es ihn trotzdem irritiert, wie verächtlich sie über ihren Vater geredet hatte, dazu gegenüber einem Fremden, als den er sich damals noch betrachtete. Heute konnte er ihr Verhalten verstehen, weil ihm klar geworden war, unter welcher Anspannung Anja gelitten hatte. Sie hatte jemanden gebraucht, bei dem sie sich den Frust von der Seele reden konnte, den ihr Vater ihr aufbürdete. Brenner musste sich eingestehen, dass er damals nicht sensibel genug gewesen war, das zu erkennen.
Seit Anjas Vater tot war, besuchte sie ihre Mutter gelegentlich, leider nicht so oft, wie Brenner es für richtig gehalten hätte. Er sprach mit ihr darüber. Anja erklärte, ihr Verhältnis zu ihrer Mutter sei zwar besser gewesen als zu ihrem Vater, aber ebenfalls nicht besonders herzlich. Gelegentliche Besuche wären alles, was sie ihr schulde, außerdem spräche sie ab und zu mit ihr am Telefon.
Anja hatte ihm erzählt, dass ihre Mutter kurz nach dem Tod
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