Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
»Seamus« weiter. »Ist sie das?«, fragt er und macht, ohne die Antwort abzuwarten, einen Satz auf mich zu.
Es ist wohl eher eine rhetorische Frage, obwohl ich zu gerne wüsste, wofür sein »das« steht. Für gesammelte Anekdoten, die mein Vater über mich erzählt hat, vermutlich.
»Hübsch«, sagt er und legt mir die schwammige Hand unters Kinn, »ich glaube, da lässt sich was machen.«
Hä? Wovon redet er bloß?
Ich werfe meinem Vater einen hilfesuchenden Blick zu.
Der lacht nur. »Ich glaube, das bekommt sie ganz alleine hin, Seamus. Einen schönen Tag noch.«
Betreten sieht der feiste Mann zu Boden und lässt dabei sogar mein Kinn los: »Sicher doch, sicher doch. Ich kann eben nicht aus meiner Haut.«
»Seamus Peacock war früher Heiratsvermittler«, erklärt mein Vater.
»Und zwar der beste in ganz Irland! Und manchmal bringe ich immer noch zwei zusammen, wenn ich denke, dass sie zusammengehören«, behauptet er.
Automatisch schaue ich Herrn Peacock auf die dicken Finger. Kein Ring. Wohl doch nicht ganz so erfolgreich, denke ich hämisch.
»Was für eine schöne Aufgabe. Einen schönen Tag noch«, sage ich so freundlich wie möglich, um nicht gleich als verstockte Zicke aus diesem befremdlichen Land in Zentraleuropa dazustehen. Dann hake ich meinen Vater schnell unter und ziehe ihn weiter.
»Vielleicht komme ich morgen Abend mal auf einen Whiskey vorbei«, dröhnt es noch hinter uns. O Gott, bitte nicht! Ich habe gar nicht in Erwägung gezogen, dass mein Vater mittlerweile Freundschaften geschlossen haben könnte. Ich dachte, er würde einsam und verlassen in seinem Cottage sitzen und ich hätte meine Ruhe. Was, wenn es hier noch mehr solcher Typen gibt? Und die nun jeden Abend bei uns vorm Kamin rumhängen wollen? Ich stelle fest, dass ich rein gar nichts über das Leben meines Vaters hier weiß. Und ich habe ihn immer noch nicht gefragt, woher er den Gedichtband hat. Ich werde mit meinen Nachforschungen sofort am Nachmittag beginnen, nehme ich mir fest vor.
»Will er wirklich zu uns kommen? Und warum nennt er dich Mr. Magpie? Ist er verrückt oder ist das dein Spitzname hier?«, zische ich.
»Ganz und gar nicht. Er mag rau wirken, aber er ist ein netter Kerl, du wirst schon sehen. Ich habe ihm und Frederick Skatspielen beigebracht. Nachdem sie es endlich
kapiert haben, bekommen Sie gar nicht genug davon. Und er hat auch nicht mich ›Mr. Magpie‹ genannt. Er meinte natürlich die Elster.«
Natürlich! »Also doch verrückt«, stelle ich zufrieden fest.
»Kann man so nicht sagen«, behauptet mein Vater fröhlich, »das ist hier so üblich, die Elstern zu grüßen. Das bringt Glück. Zumindest ab dem sechsten Vogel, den man trifft.«
Pf! Hier sind eben doch alle verrückt – und meinen Vater scheint es auch schon ein wenig erwischt zu haben. Nach einer Weile kommen wir auf eine lang gezogene Straße, an der sich die Häuser etwas dichter aneinanderreihen. Fast wie in einer kleinen Stadt. Ich entdecke einen mit jedem erdenklichen Plunder vollgestopften Krimskramsladen, in dem es auch ein paar Lebensmittel und Zeitungen zu geben scheint – und einen richtigen Pub.
»Wo kauft ihr denn alles andere ein, was ihr braucht?«
»Oh, nur eine Viertelstunde von hier ist ein größerer Ort. Da gibt es alles, sogar ein kleines Kino, falls dir mal langweilig wird«, sagt er.
»Bestimmt nicht.« Ich hake ihn unter. Eigentlich gefällt es mir hier doch ganz gut – nach romantischen Hollywood-Schmonzetten steht mir der Sinn überhaupt nicht.
A ls wir wieder in meinem derzeit – großes Selbstmitleid ist an dieser Stelle angebracht – einzigen Zuhause angekommen sind, ziehe ich mir blitzschnell die kratzigen Sachen aus. Ich schlüpfe in meinen Seidenpyjama und ziehe mir zwei Paar Baumwollsocken an. Schurwolle juckt mich einfach zu sehr. Dann lasse ich mich wieder in den Sessel vor
dem Kamin fallen. Ich könnte sofort erschöpft einschlafen – die frische Luft und die Kälte haben mich müde gemacht. Zumindest habe ich meine hübschen Sachen nicht ganz umsonst eingepackt. Zum »Tee« bei »Sir Henry« würde ich meinen bordeauxfarbenen Samtblazer und den grauen Bleistiftrock tragen. Und ganz sicher keine Lammfelljacke darüberwerfen. Die paar Meter würde ich schon zurücklegen können, ohne mir amputationswürdige Frostbeulen zu holen. Ein wenig komme ich mir bei dieser Aktion ja wie die Tochter des Leibarztes vor, die nun alt genug geworden ist, um der Herrschaft vorgestellt zu werden, bevor sie
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