Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
ein wenig genervt.
Eigentlich möchte ich sitzenbleiben, es scheint draußen ziemlich kalt zu sein. Und ich habe überhaupt keine warmen Sachen dabei. In Hamburg reicht es, wenn ich mir morgens ein Mäntelchen übers Kleid werfe. Da lasse ich mich nämlich direkt vor der Haustür in die S-Bahn fallen, die direkt an meinem Arbeitsplatz hält – wo der von mir einst besonders geschätzte Kollege aus der Politikredaktion des Hamburger Morgen , also der Mann den ich verlassen musste, sicher genau in diesem Moment mit seinen gut manikürten Händen den Nacken der üppigen Sekretärin massiert. Es war so quälend, noch einen ganzen Monat in diesem Sodom, das sich Tageszeitung schimpft, auszuharren. Die letzte Herausforderung an dieser Front: bloß nichts anmerken lassen, nur den Aasgeiern, sprich: Kollegen, kein Futter geben. Irgendwie habe ich es überstanden. Aber zum Glück hatte ich so viel Resturlaub angesammelt, dass ich nach dem schrecklichen Monat bis zum Ende der Kündigungsfrist Urlaub einreichen konnte. Tja – und nun bin ich hier. Und hier werde ich mit meinen netten schwarzen Retro-Etui-Kleidern und den hübschen Jäckchen im 50er-Jahre-Stil, auf die Martin so abfuhr, wohl nicht besonders weit kommen. Aber das ist nun wirklich kein Grund schon wieder loszuheulen. Das bisschen Kälte ... Ich werde einfach in den nächsten Tagen einen Abstecher nach Dublin machen und dort wärmere Klamotten kaufen. Mit dem Auto sind das gerade mal 30 Minuten. Ich leihe mir Papas Wagen und los geht’s! Das ist nun wirklich alles gar kein Problem.
»Aussteigen«, stammele ich also. Gerne würde ich noch
etwas Gefälliges über den angenehmen Tag und das milde Klima sagen, aber mein Englisch ist etwas eingerostet.
Der Fahrer reicht mir den Koffer und ich stehe mutterseelenallein vor einem abgelegenen Cottage.
In einem Punkt hatte mein Vater allerdings Recht. Das Häuschen ist wirklich hübsch – ganz genauso, wie man es sich vorstellt, wenn man noch nie in Irland war: ein verwilderter Garten mit kahlen Rosensträuchern, bemoostes Reetdach über weißem Stein. Im Sommer, wenn alles blüht, muss es ein Traum sein. Und es gibt noch einen Bonuspunkt, den mein Vater offenbar vergessen hat, zu erwähnen: Gar nicht weit hinter dem Häuschen steht ein echtes Anwesen – fast ein Schloss. Nicht so ein finsteres mittelalterliches Gemäuer, sondern ein schmuckes Herrenhaus wie aus einer Jane-Austen-Verfilmung. Schuldbewusst nehme ich zur Kenntnis, dass mein Vater auch nicht besonders viel Gelegenheit hatte, dieses Schmankerl zu erwähnen. Zwischen seiner und meiner Trennung habe ich den Kontakt nicht so optimal gepflegt, wie man es tun sollte. Zu viel Stress. Und als ich mich dann endlich gemeldet hatte, hat mich ohnehin nur eines interessiert: »Darf ich kommen und eine Weile bei dir wohnen?«
»Aber sicher doch. Das wird lustig!«, hat mein Vater begeistert erwidert.
Daran, dass es lustig würde, hatte ich so meine Zweifel, aber egal. Ich wollte nur noch weg aus Hamburg.
Das Häuschen hat gar keine Türklingel. Ich hämmere also mit dem Türklopfer im Löwenmaul gegen die blau gestrichene Holztür. Nichts rührt sich. Ich drücke die Türklinke. Es ist nicht abgeschlossen. Von einem kleinen Vorraum gehen zwei Türen ab: Eine führt zu einer behaglichen Wohnküche,
in der mindestens zehn Leute Platz fänden. Ein kleiner Holztresen teilt den Herd ab, davor steht ein langer Esstisch aus robustem, unbehandeltem Holz. Die andere Tür führt in ein großes Zimmer mit dunkelgrün gestrichenen Wänden. Man möchte juchzen vor Vergnügen! Ich schmeiße mein Gepäck in eine Ecke und sehe mir alles genauer an: Vor dem Kamin steht ein leicht abgewetzter Ohrensessel aus ehemals sicher sehr teurem, altrosa Brokatstoff, davor steht ein Fußschemel, der mit dem gleichen Stoff bezogen wurde. An der zerknüllten Zeitung und der kuscheligen, nur zur Seite geschobenen Decke, erkenne ich, dass mein Vater hier seinen Lieblingsplatz gefunden hat. Hinter einem Sofa und einem weiteren Ohrensessel mit dem gleichen Bezug stehen jede Menge prall gefüllte Bücherregale. Wunderbar! Eine kleine Wendeltreppe führt nach oben auf die Galerie. Von hier gehen noch mal zwei kleine Schlafzimmer und ein Raum ab, in dem eine unzählige Menge Kisten stehen, die mein Vater noch nicht ausgepackt hat. Die kleinen Schlafzimmer sind ganz reizend – mit Blumentapeten und schmalen Ehebetten im Landhausstil mit geschnitzten Verzierungen an Rahmen und Stangen, in denen
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