Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
ihren Dienst als Zofe oder Gouvernante antritt. Ich bin gespannt, aber – wie albern – auch ein klein wenig eingeschüchtert.
»Papa, woher hattest du eigentlich den Gedichtband, den du mir zu Weihnachten geschickt hast?«
Besagten Gedichtband, der mein einziger Begleiter an einem verheulten, einsamen Weihnachtsfest gewesen ist. Vielleicht hatte die hübsche Gabe sentimentale Gefühle und Sehnsucht nach meinem Vater geweckt – dem Mann, der immer irgendwie da sein würde, ob nun in Irland, Deutschland oder Timbuktu. Was man von meiner Mutter derzeit nicht behaupten konnte. Die Karte aus Zypern war mit den Floskeln aus dem Textbaukasten versehen, den 13-Jährige auf Klassenfahrten benutzen, wenn sie schnell wieder mit ihren Kumpanen heimlich verbotenen Alkohol im Etagenbett trinken möchten, statt sich ausführlich ihren alten, zurückgelassenen Eltern zu widmen: »Das Wetter ist schön, das Essen schmeckt gut. Gruß, Uschi.« Na bitte, aus der biederen Mama Ursula war im Handumdrehen eine waschechte »Uschi« geworden. Klasse!
»Der Gedichtband ...«, er sieht verlegen aus. »Offengestanden
stand der hier schon im Bücherregal, als ich eingezogen bin. Ich fand es witzig, dass hier ein Buch von einem deutschen Dichter steht. Der soll sogar eine Weile in diesem Haus gelebt haben. Hast du gesehen, dass jemand alle Zeichnungen überklebt hat, um den deutschen Texten die englischen gegenüberzustellen? Ich dachte, das findest du bestimmt komisch. Ich persönlich würde ja eher von grober Misshandlung sprechen, aber du magst doch gebrauchte Bücher. Und dies schien eine Originalausgabe zu sein.« Er stammelt ein wenig.
»Hey, Papa, deswegen frage ich doch gar nicht. Das braucht dir nicht peinlich sein. Ich fand es sehr schön.« Abgesehen davon hatte er mir zusätzlich einen größeren Betrag auf mein Konto überwiesen. Über das Buch habe ich mich trotzdem mehr gefreut.
»Aber wem hast du das Haus eigentlich abgekauft?« Ich darf nicht vergessen, warum ich hier bin, nämlich um einen größeren Literaturskandal aufzudecken – oder so ähnlich.
»Na, Sir Henry natürlich. Wirklich ein toller Kerl. Der wollte unbedingt einen Arzt hier in die Gegend bringen, damit die Dorfbewohner nicht so weit fahren müssen. Er hat sogar die ganze Einrichtung hiergelassen. Ich musste nur alles ein wenig abstauben.«
Glaube ich sofort – wenn ich mir den abgeriebenen Brokat der Polstermöbel und die prall gefüllten Regale mit uralten Büchern ansehe. Sir Henry also. Dann werde mich gleich ausführlicher mit dem ehemaligen Besitzer meines Buches befassen – und mich dafür ein wenig in Schale werfen.
E s ist wirklich ein wenig kurios, durch die stille Dämmerung und den ganzen Schnee auf ein Anwesen zuzustapfen, in dem man zum Tee eingeladen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn uns gleich eine Meute Jagdhunde und eine viktorianische Gesellschaft zu Pferd entgegeneilen. Stattdessen öffnet uns eine ältere Dame mit vielen Lachfältchen um die tiefblauen Augen, das graublonde Haar sorgfältig hochgesteckt. Sie erinnert mich ein wenig an Vanessa Redgrave als Lady Wilde in dem Film über das Leben von Oscar Wilde. Zur eleganten Frisur trägt sie eher lässige Klamotten: einen weißen Wollpullover zu einer weiten, dunkelroten Cordsamthose. Ich verfalle ihr auf den ersten Blick. Wenngleich ich mir jetzt doch etwas albern vorkomme in meinem extrem taillierten Blazer, dem schmalen Rock, den schockgefrorenen Nylons und Pumps, deren schmale Absätze nun endgültig hinüber sind.
»Ihr Vater hat schon viel von Ihnen erzählt.« Sie lacht.
Das ist natürlich nur so eine Floskel, dennoch werde ich rot. Dann schaut sie mich genauer an. »Oh, Sie haben ja den passenden Blazer zu meiner Hose.«
Dann dreht sie sich schwungvoll um und geht voraus.
Ich lächle nur dämlich, weil mir keine amüsante Antwort eingefallen ist und ich insgesamt noch ein wenig überfordert bin. Das Innere des Hauses sieht genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe: verzierte Treppen aus dunklem Holz und lange Flure, an deren Wänden alte Ölgemälde hängen. In einer Ecke steht sogar die obligatorische Ritterrüstung, die einfach in einen englischen Spukfilm gehört. Irisch, meine ich.
Dann kommen wir ins »Kaminzimmer«. Es ist sehr schön,
wie eine größere, schickere Version unseres behaglichen Cottage-Wohnzimmers. Die ganzen Wände stehen voller schwerer Bücherregale aus dunklem Eichenholz. Es gibt keinen schöneren Wandschmuck. Wie gerne würde ich
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