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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hatte, aber das war keine Sache, über die man redete.
    Tschetansapa wartete und sah zu, wie Tokei-ihto die Lederdecke um sich schlug und sich trockenrieb. Uinonah hatte in einer Schüssel Fleisch zurechtgemacht. Wenn Schwarzfalke sich nicht sehr irrte, war das ein Stück Bärentatze. In der Schneezeit war es frisch geblieben, dann hatte es einen leichten Geruch und vielleicht einige kleine Würmer angenommen.
    Tokei-ihto zögerte nicht, zuzugreifen. Als er die Schüssel zurückgab, nahm Sitopanaki sie ihm ab. Tschetansapa sah das Schwarzfußmädchen bei diesem einfachen Dienst. In der Gebärde der fremden Häuptlingstochter lag viel Stolz und eine nicht verhohlene Demut. Ob Tokei-ihto das auch gesehen hatte? Der Häuptling war schon wieder aufgestanden. Er wollte seine Büchse aufgreifen, aber er erfuhr, daß Chef de Loup die letzten Patronen dafür verschossen hatte. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er den Bogen und die Pfeile und machte sich mit Tschetansapa auf den Weg nach der Anhöhe, um die Lage von oben zu überprüfen.
    Der Tag verstrich in beklemmender Stille. Nichts war da als das Lehmwasser, die grünenden Wiesen und der blaue Himmel. Die Mustangs grasten. Die Frauen schwiegen und warteten. Als es dem Abend zuging, kam Uinonah zu Blitzwolke und gab ihr ein Päckchen Fleisch mit dem Auftrag, nach Einbruch der Dunkelheit vorsichtig am Ufer stromabwärts zu laufen und dem Schlauen Biber diesen Proviant zu bringen.
    Blitzwolke wartete, bis die Sonne verschwunden war und das Zwielicht der Dämmerung in die Nacht überging. Dann lief sie flink am Ufer, oberhalb des lehmgelben, an den Gräsern leckenden Stromes abwärts, zu dem Versteck ihres Oheims. Der Biber hatte mit dem Delawaren zusammen seine Mulde zu einer Grube vertieft. Darin saß er jetzt allein; der andere war wohl auf weitere Kundschaft unterwegs.
    Der Biber sah dem Mädchen freundlich entgegen und zog es in die Grube herein. »Was hast du gebracht? Alten Gaul?«
    Blitzwolke hörte aus dem Scherz die Wehmut heraus und fühlte, daß ihrem Oheim das Essen ganz gleichgültig war. Der Biber wickelte das Päckchen aus und beroch den Inhalt. Dann wickelte er das Päckchen wieder ein, schob es in eine Ecke und deckte es mit Erde zu. »Bis Chef de Loup kommt«, sagte er.
    Blitzwolke hätte wieder gehen können, aber da sie allein war mit dem Oheim, sah sie ihn flehend an. Vielleicht sagte er einmal ein Wort.
    »Was weißt du denn eigentlich?« fragte der Biber und spähte durch einen Ausguck, den er sich gemacht hatte, über die Prärie.
    Das Grasland wurde vom Mond beleuchtet; in dem Graben aber war es dunkel.
    »Daß die Watschitschun nicht mehr schießen, weiß ich, und daß Donner vom Berge bei ihnen war und daß Tokei- ihto …«
    »Die Waffen ruhen bis morgen abend«, sprach der Biber in seinen Ausguck hinaus. »Wenn wir bis dahin Tokei-ihto nicht dem Red Fox ausgeliefert haben, schießen die Watschitschun wieder.«
    »Ihr verratet den Häuptling aber nicht noch einmal!« Blitzwolke blieb fest und sprach fast drohend.
    »Nein, wir verlassen ihn nicht.« Irgend etwas schwang in der Stimme des Bibers, das dem Mädchen nicht geheuer war.
    »Laß mich doch auch hinaussehen«, bat sie.
    Der Oheim schob sie vor sich. Er hatte sich tief bücken müssen; Blitzwolke stellte sich auf die Zehen und spähte. Im Süden waren mehrere Gruppen von Pferden zu erkennen. Die Reiter waren abgestiegen und lagen wohl im Gras.
    Blitzwolke zählte. »Sehr viele sind es aber. Waren sie uns immer so nahe?« Pferde, die man in der Nacht als solche erkennen und auf die man also auch zielen konnte, schienen Blitzwolke »nahe«, selbst wenn sie dem Auge nur winzig sichtbar wurden.
    »Nein, sie waren uns nicht immer so nah. Aber seit die Waffen schweigen, sind die Kojoten sehr mutig geworden und uns näher gerückt.«
    »Ja«, meinte Blitzwolke, »dann wollen wir eben kämpfen, und wenn wir nicht siegen können, wollen wir sterben. Ich bin nur ein Mädchen, aber ich sage dir, daß ich keine Angst habe. Die Bärenknaben sind ja schon drüben.«
    »Ja, das ist gut.«
    Blitzwolke kletterte wieder aus der Grube hinaus und huschte zurück zum Lager. Auch diese Nacht ging vorüber. Als es hell wurde, dachte Blitzwolke daran, daß jetzt der Tag begann, an dem der Waffenstillstand ablief.
    Blitzwolke legte ihre Decke sorglich zusammen und ging mit Uinonah, Sitopanaki und Spottdrossel ein Stück abwärts in der Bucht, um sich zu reinigen. Glatt und sauber flocht sie auch heute ihre Zöpfe. Dabei

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