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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sah sie nach dem Wasser. Es war um eine Handbreit gesunken. Halbverfaultes Gras kam zutage, an den Büscheln setzten sich angeschwemmte Erde und fortgespültes Holz fest. Es stank nach Aas. Wenn eine Welle vom Stromtal hereinkam, leckte die Schlammflut wieder hoch bis zu ihrem früheren Stand und beugte von neuem die Weidenzweige, die schon herausgeragt hatten.
    Die Frauen gingen zurück und ließen sich an ihren gewohnten Plätzen zwischen den Booten nieder. In gleichförmigen Rhythmen klang der Gesang Hawandschitas zu dem Wasser hinaus. Er sang ein Zauberlied.
    Blitzwolke vergaß alle ihre Zweifel und lauschte dem Lied schwermütig. Es war ein Bärenlied, das erkannte sie wohl, und es mußte uralt sein.
    Das Mädchen besann sich. Wenn die große Bärenmutter helfen sollte, mußte man rein und tapfer sein. Sie erhob sich und ging hinüber zu ihrer Freundin Eidechse. Diese stand auch auf und kam Blitzwolke entgegen. Die jungen Mädchen liefen zusammen ein Stück weiter am Hang, und sie hielten erst wieder an, als sie ganz allein waren.
    Sie sprachen leise miteinander und gelobten sich, zu ihren Schwestern und Brüdern immer die Wahrheit zu sagen und einen Tag lang nichts zu essen. Dann nahmen sie sich an der Hand und gingen miteinander zum Lager zurück. Das Zauberlied klang noch immer durch den aufsteigenden Morgen.
    Die Freundinnen ließen sich miteinander bei Untschida nieder. Untschida war weise, und sie konnte auch mit den Bären sprechen. Man war geborgen bei ihr. Ihr Gesicht hatte einen dunklen Schimmer; sie hatte es mit Asche gefärbt, weil sie fastete. Blitzwolke und Eidechse ließen sich auch Asche geben. Sie holten sie bei den Feuerträgern, die das nicht verlöschende Feuer in einem hohlen Birkenstamm von dem Pferdebach über die Reservation bis zu dem großen Schlammwasser getragen hatten.
    Als die Mädchen wieder bei Untschida saßen, legten sie die Hand vor den Mund und sprachen verborgen zu dem großen Geheimnis. Uinonah und Sitopanaki gesellten sich zu ihnen. Alle Gedanken mußten jetzt denselben Weg gehen. Dann vermochten sie vielleicht, den bösen Feind zu überwinden.
    Die Zeit schwand schnell dahin wie versickerndes Wasser.
    Als es Mittag wurde und die Pferde zu weiden aufhörten, kam der Biber in das Lager. Es schien, daß er stärker hinkte als sonst. Er ging zu den Mustangs. Der Braune, den er zu reiten pflegte, stand auf, als er seinen Herrn kommen sah. Der Biber lehnte sich an das Tier und spielte mit den schwarzen Mähnenhaaren. Er wartete.
    Obwohl sich kaum etwas rührte, verbreitete sich eine unfaßbare Unruhe unter den Lagernden. Hawandschita war verstummt und sah unverwandt hinauf zu der Anhöhe, auf der die Krieger im Gras versteckt Wache hielten. Tschetansapa tauchte dort auf, vom Stromtal her kam Chef de Loup. Er beeilte sich nicht, und auch über seinem Antlitz und seiner Haltung lag das Unerklärliche und Bedrückende, das die Fragen fernhielt.
    Die Luft schien in leisem Fieber zu schwingen, als Tokei-ihto und Donner vom Berge sich endlich zeigten. Brust und Rücken waren nackt und mit Rot, der Farbe des Blutes, bemalt. Die Blutfarbe bedeutete nicht, daß diese Männer töten oder sterben würden; das rote Blut war seit Urzeiten der Menschheit das Zeichen des kräftigen Lebens, das über den Tod siegen wollte. Im Kampf vor allem bedurften die Männer solcher Lebenskraft, und die symbolische rote Bemalung war daher bei vielen Stämmen Sitte.
    Als die Häuptlinge den alten Zaubermann erreichten, hatten sich Schwarzfalke, Schunktoketscha und der Biber dort schon eingefunden.
    Tokei-ihtos Stimme erklang ruhig und gedämpft. »Ich habe euch rufen lassen«, hörten die fünf Frauen ihn sagen.
    »Ihr sollt erfahren, was ich beschlossen habe. Die Waffen ruhen, bis die Sonne sinkt, das wißt ihr. Dann werden die Geheimniseisen der Watschitschun wieder zu sprechen beginnen, es sei denn, daß Tokei-ihto, der Sohn Mattotaupas, sich an den Red Fox ausgeliefert hat.« Der Häuptling machte eine kurze Pause. »Ich habe Fred Clarke sagen lassen«, fuhr er dann fort, »daß ich bereit bin, mit ihm zu sprechen. Wenn auch er dazu bereit ist, so möge er mich das bis eine Stunde nach Mittag wissen lassen. Sein Bote ist dagewesen. Ihr habt ihn kommen und gehen sehen.«
    »Lieber gehen als kommen sehen«, bemerkte Tschetansapa. Der Häuptling überhörte das.
    »Fred Clarke wird zu dem Südfuß der Anhöhe reiten, sobald er mich kommen sieht. Ich will ihn anhören und ihm antworten. Ich breche jetzt

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