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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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mit der anderen Hand machte, faßte er einen dünnen Arm: Blitzwolke stand neben ihm, zitternd, schlotternd, mit klappernden Zähnen.
    »Der Schädel wird kommen«, preßte sie hervor.
    Einer der Jungmänner in vorderster Reihe hatte einen Angstschrei ausgestoßen und rannte wie ein verfolgtes Wild zum Wald zurück.
    »Büffel sollen wir jagen, wilde Büffel!« schrie der Zauberer und warf seine Zauberstange wie einen Speer gegen Tschapa. Die Stange bohrte sich mit der Spitze in den Wiesenboden, unmittelbar zu Füßen des Kriegers, der sich nicht von der Stelle bewegt hatte. »Tötet die gefleckten Stinktiere, Männer der Dakota! Wer die weiße Zaubermilch der Watschitschun trinkt und ihre gefleckten Tiere hütet, der wird sterben! Der Geist des wilden Büffels wird kommen und wird ihn töten! Wehe!«
    Viele folgten dem Jungmann, der geflohen war. Sie liefen gleich ihm ein großes Stück zurück, um sich vor dem wilden Büffel in Sicherheit zu bringen. Tschetansapa und Tschapa aber hielten am Platz aus.
    Hapedah war die Kehle wie zugeschnürt. Mit der einen Hand umklammerte er die Rechte Tschaskes, mit der anderen drückte er Blitzwolkes mageren Arm zusammen. Er wußte nur das eine: Er mußte standhalten, und die gefleckten Büffel durften nicht getötet werden. Er, der Knabe, mußte dem mächtigen Zauberer und Ältesten widerstehen. Er mußte handeln, wie Tokei-ihto an seiner Stelle gehandelt hätte.
    Vor drei Wintern, als Tokei-ihto zu seinem Stamm zurückkehrte, war Tatanka-yotanka als der größere Geheimnismann gegen Hawandschita aufgetreten. Jetzt war Tatanka-yotanka ebenso fern wie Tokei-ihto, und niemand vermochte den Bärenknaben in dieser Stunde zu helfen. Hapedah und Tschaske mußten selbst den Mut bewahren. Auch Uinonah fürchtete sich nicht. Sie hatte Blitzwolke an der anderen Hand gefaßt und blieb.
    Über dem glühenden Schädel stiegen grüne und rote Feuer auf, zischend stiegen sie zum Nachthimmel, und ein Glut- und Funkenschwarm kam wieder herab, als ob Menschen und Wiesen vom Feuer des wilden Büffels gefressen werden sollten.
    Hapedah vernahm hinter sich Angst- und Warnschreie, laute Schreie: »Tötet die gefleckten Büffel, damit das Unheil sich verzieht!«
    Er begriff sofort, daß etwas geschehen mußte, was den Zauber brach, sonst war alles verloren. Vielleicht hätte er versagt, wenn nicht Uinonah bei ihm gewesen wäre. Aber auf die Schwester Tokei-ihtos vertraute er. Auch das Bärenjunge gab ihm Mut. Sitopanaki hatte es herbeigeführt und dem Feuersprühen entgegen in die Höhe gehalten. Hapedah fühlte jetzt, wie das Tier sich an seine Knie schmiegte; es zeigte keine Angst, sondern brummte und fletschte die Zähne.
    »Stirb, wie die Geister es wollen!« rief der Zauberer, und er riß seinen Zauberstab mit der Steinspitze aus dem Wiesenboden, wo er noch steckte, und hob ihn unter dem Feuerregen drohend gegen Uinonah. Der Zauberspeer schien zu flammen.
    »Es ist nicht wahr!« schrie Hapedah mit lauter Stimme auf. »Es ist nicht wahr! Du lügst mit deinen Geistern!«
    Ein neuer Feuerregen kam herab, Hapedah schloß die Augen, aber er wich nicht. Als er langsam die Lider hob und wieder um sich schaute, war nichts mehr zu sehen als schwarze Nacht, der Sternenhimmel und weite Wiesen. Der grün leuchtende Schädel, der feurige Regen und der tanzende Zauberer waren verschwunden.
    Vorsichtig, noch benommen, drehte Hapedah den Kopf zu Tschaske, der unverändert neben ihm stand, und zu Blitzwolke, Uinonah und Sitopanaki auf der anderen Seite. Gleich Hapedah waren diese alle noch am Leben.
    Allmählich öffnete Hapedah die Hand, mit der er Blitzwolkes Arm umklammert hatte, und das Mädchen rührte sich auch ein wenig. Ein Krieger kam herbei; Hapedah erkannte seinen Vater. Tschetansapa legte die Hand auf Hapedahs Kopf, nur einen Augenblick, wie damals, als die Knaben mit dem Boot über den Strom fahren sollten. Dann ging er weiter. Im Gras lag ein menschlicher Körper; es war der gestürzte Zauberer, Tschetansapa rührte ihn nicht an, sondern schien etwas anderes zu suchen.
    Die Gruppe der Mädchen und Knaben löste sich aus ihrer Starre, und sie schauten hierhin und dahin. Sie erblickten die geflüchteten Männer und Frauen und Kinder, die jetzt langsam zu dem Schauplatz des unheimlichen Zaubertanzes zurückkehrten und leise miteinander sprachen.
    »Sie leben noch«, war das Wort, das sich am meisten hören ließ. Hapedah, der den Zauberer der Lüge beschuldigt hatte, Uinonah, die von dem flammenden

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