Ueber die Liebe und den Hass
Läden!«
»An der Ecke, kleines Schaufenster mit einem Weihnachtsbaum aus Plastik.«
»Wo bist du denn? Wie heißt die Straße? Hast du noch nie etwas von einem Navi gehört? Oder einem scheiß GPS? Wir bezahlen dich für den ganzen Abend, und nicht nur für die Fotos beim Aufräumen!«
»Ich bin bald da, muss nur jemanden fragen, ich sehe jemanden, ich leg auf, bis gleich.«
Ich bekam noch ihre Verwünschungen mit, während ich das Gespräch wegdrückte.
Noch immer war keine Menschenseele auf der Straße. Zögerlich fuhr ich los.
Zwei Straßen weiter sah ich eine Gruppe Frauen mit halblangen Mänteln, unter denen Glitzerkleider hervorschauten. Trotz der hohen Absätze gingen sie in einem schnellen Tempo. Ich wusste, dass ich mich ganz in der Nähe befand. Sie überquerten die Straße schräg und verschwanden hinter einer Ecke. Ich konnte ihnen nicht mehr folgen, weil es eine Einbahnstraße war. Also beschloss ich, den Wagen abzustellen und nachzuschauen.
Wie den schweren Herzschlag des Monsters konnte ich das Wummern der Bässe spüren. Hier wurde gefeiert, ganz in der Nähe. Die Gegend summte und brummte, und ich war erleichtert, dass ich fast an meinem Ziel angekommen war.
Der Festsaal war über und über mit Blumen, Kupfer- und Silberwerk geschmückt. An der Stirnseite des Saales wartete der feierliche Altar auf das Brautpaar. Keiner wäre auf die Idee gekommen, sich auf den Doppelthron zu setzen. Der war tabu für die anderen.
Ich sah die Schwester der Braut auf mich zustürmen und lächelte ihr zu.
»Mitkommen, sofort«, fauchte sie mich an. Ich folgte ihr ergeben und gelassen.
Nachdem sie mir eine Viertelstunde lang schimpfend und zeternd alle Anweisungen dargelegt hatte, durfte ich anfangen.
Wie ich sah, hatte Samira, die Kamerafrau, sich bereits gut eingerichtet. Sie lief in Jeans herum, was für meinen Geschmack wirklich unpassend für eine Hochzeitsfeier war, auch wenn man nicht zur Familie zählte. Sie würdigte mich keines Blickes, als ich an ihr vorbei zu Hayat hinging, der D-Jane, die ihr Repertoire an Tanzstücken wie immer in einer derartigen Lautstärke rauf- und runterspielte, dass nicht nur ich, sondern auch alle Gäste die Folgen noch tagelang spüren würden.
Als das Fingerfood auf Tabletts herumgereicht wurde, legte sie zum Glück sanfte Lautenmusik auf.
Samira war währenddessen mit ihrer Kameratasche beschäftigt. Als sie sich aufrichtete, sah ich zu meinem großen Entsetzen, dass sie eine hypermoderne Digitalkamera in der Hand hielt. Bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, dass es eine Canon EOS 40D SRL war.
»Wie kommt Samira an eine solche Kamera?«
Hayat zuckte mit den Achseln. Inzwischen war das Fingerfood auch bei uns angekommen, aber trotz meines nagenden Hungergefühls konnte ich nichts essen. Eine ungute Vorahnung schnürte mir die Kehle ab, und mir war, als bekäme ich nur häppchenweise Luft zum Atmen.
Kleinkredit für Unternehmensgründer. Ganz bestimmt.
»Sieht ziemlich stark nach Hehlerware aus.«
»Nach was?« Hayat hatte sich den Mund mit Minipastetchen vollgestopft.
»Hehlerware«, wiederholte ich lauter, »einem Dieb abgekauft.«
»Ich weiß durchaus, was Hehlerware ist, nur finde ich es ziemlich krass, dass du so was denkst.« Sie legte eine Tanznummer auf, Tarkan, ohrenbetäubend laut, ohne zu bedenken, dass sich einige der Frauen durch den plötzlichen Lärm an ihren Pastetchen verschlucken könnten.
Das war wieder einmal eins von Samiras berühmten fiesen Spielchen, die ich so sehr hasste. Offenbar hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, mir das Leben zu vermiesen, und jetzt machte sie mir auch noch das Terrain streitig.
Wieso tauchte sie hier mit einem Fotoapparat auf? Glaubte sie im Ernst, es reichte aus, sich auf das Motiv zu konzentrieren und den Auslöser zu betätigen? Es ging um die Verschlusszeit, den Kontrast, die Komposition und das Farbzusammenspiel, alles Dinge, die bei einem Foto eine entscheidende Rolle spielten. Nicht das rote Knöpfchen und erst recht nicht das Motiv.
Fotografie ist keine Ästhetik. Fotografie ist Kunst, eine Sprache für sich. Und ich entwerfe mit meinen Fotos eine Geschichte, keine hübschen Bildchen, keine Augenwischerei. Zu viel Schönheit und Perfektion würden das Interesse von der melancholischen Geschichte ablenken, die ich erzählen wollte. Und die nur ich so erzählen konnte. Mein Vater hat mich einmal gefragt, wovon ein bestimmtes Foto handelte. Ich erklärte ihm, dass er mich das nicht fragen
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