Ueber die Verhaeltnisse

ihres Körpers verständigte. Er sah sich die Autotür für sie öffnen und dabei mit dem Fingerrücken ihren Ellbogen streifen, während er sich mit dem Bruder über dessen Eindrücke von den Geschehnissen in ihrer beider Vaterland unterhielt. Er hatte den Wagen des Bruders zum Flughafen gebracht und würde ihn auch wieder in die Stadt chauffieren. Die türkische Schwägerin hatte sie zum Essen eingeladen. Nach dem Essen würden er und Frô neuerlich zum Flughafen fahren, diesmal zum Binnenflughafen, und von dort aus nach Ankara fliegen. Sie würden nebeneinandersitzen und sich durch geheime Zeichen verständigen, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu verraten, bis sie dann endlich in die gemeinsame Wohnung kämen.
    Auf dem Monitor wurde die Ankunft der AUA-Maschine ausgeschrieben, und Ayhan begab sich ohne Eile in die Ankunftshalle. Es würde eine Weile dauern, bis sie durch den Zoll wären. Er zündete sich noch eine Zigarette an und schaute dem Rauch nach, wie er der Luftströmung in der zugigen Halle folgte. Noch immer konnte er vor sich sehen, was in den nächsten Stunden geschehen und was seine Rolle dabei sein würde.
    Ich habe mir den Film meines Lebens ausgedacht, ging es ihm durch den Kopf, aber weder der gedankliche Abstand noch Selbstironie konnten die Heftigkeit der Erwartung abschwächen. Das Wissen darum, daß er das alles erleben werde, verursachte ihm ein leichtes Schwindelgefühl, und er starrte so lange auf die automatische gläserne Schiebetür, bis sie sich öffnete, um Frô und seinen Bruder freizugeben.

Informationen zum Buch
    Der Regierungschef persönlich verkehrt in dem Wiener Restaurant Spanferkel. Vor langer Zeit hatte er sogar ein Verhältnis mit Mela, der Wirtin. Dass es nicht ohne Folgen blieb, weiß allerdings nur sie. Inzwischen studiert die Tochter und springt nur im Lokal ein, wenn sich der exklusive Kreis von Politikern zum Arbeitsessen trifft. Dabei bahnt sich eine Verbindung an, die das vertraute Mutter-Tochter-Verhältnis zutiefst erschüttert. Verzweifelt bittet Mela den nichtsahnenden Vater um Hilfe. Dem haben diese Sorgen gerade noch gefehlt, denn auch seine Regierung befindet sich in der Krise.
    Ein vielschichtiger Roman über Grenzüberschreitungen, über Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, sich viel zumuten – eben über ihre Verhältnisse leben – und bereit sind, den Preis dafür zu zahlen.

Informationen zur Autorin
    BARBARA FRISCHMUTH, 1941 in Altaussee (Steiermark)geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit einigen Jahren lebt sie wieder in Altaussee.
    Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule « (1968) und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« (1973), wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten »Sternwieser-Trilogie« (1976 bis 1979) bekannt, der die »Demeter-Trilogie« (»Herrin der Tiere«, »Über die Verhältnisse«, »Einander Kind«, 1986–1990) folgte.
    Zuletzt erschienen die Romane »Die Schrift des Freundes« (1998), »Die Entschlüsselung« (2001), »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war« (2004) und »Vergiss Ägypten« (2008) sowie drei literarische Gartentagebücher und »Die Kuh, der Koch, seine Geiß und ihr Liebhaber« (2010).