Ueber Gott und die Welt
und nach ihrem anthropologischen Fundament zu fragen.
Es gibt in der Tat eine Dualität von Interessen des denkenden Menschen. Man kann diese Dualität auf verschiedene Weise beschreiben, zum Beispiel so: Der Mensch hat das Bedürfnis, frei zu sein, und er hat das Bedürfnis nach Beheimatung und Sicherheit.
In der außermenschlichen Natur gibt es nur ein einziges Interesse. Es ist definiert durch die teleologische Struktur von Lebewesen. Es gibt die Tendenz, sich zu erhalten, sich zu entfalten, seine Natur zu realisieren. Das Wort
telos
kann übersetzt werden mit »Ende« oder mit »Ziel« im Sinne von Grenze. Freiheit außerhalb und jenseits der Grenzen der Natur ist nicht Freiheit, sondern Destruktion. Natur ist gleichzeitig Inhalt der Freiheit eines Wesens und die Bedingung seiner Erhaltung.
Der Mensch kann sich eine absolute Freiheit imaginieren, eine Emanzipation von der Natur. Gegen diese abstrakte und totale Freiheit macht sich das Interesse nach Sicherheit, nach Beheimatung, nach Bewahrung geltend.
Sigmund Freud hat vom Lustprinzip und vom Realitätsprinzip gesprochen, das heißt vom Prinzip der Erhaltung, der Selbsterhaltung. Da die Philosophie Freuds antiteleologisch war, konnte er die gemeinsame Quelle dieser beiden Interessen nicht sehen. Tatsächlich gibt es ja keine Freiheit ohne Sicherheit, ohne Schutz. Und ohne Freiheit wiederum fühlt sich ein Mensch nirgends beheimatet, nicht in Sicherheit und nicht wohl bei sich selbst.
In der modernen Politik haben die beiden Interessen sich ausdifferenziert. Thomas Hobbes definiert Eudaimonia alsFortschritt von Begierde zu Begierde und Freiheit als Freiheit, sich auf einer möglichst großen Zahl von Wegen fortbewegen zu können. Diese inhaltslose Freiheit muss begrenzt werden durch eine absolute Macht, deren Ziel die Erhaltung des Lebens ist und die sich gründet auf der Furcht vor einem gewaltsamen Tod.
In der modernen Politik gibt es immer diese beiden Seiten: die Partei der Freiheit und die Partei der Bewahrung, die Linke und die Rechte. In Wirklichkeit garantiert der Dualismus dieser beiden Parteien ein gewisses Gleichgewicht zwischen den beiden Interessen, der Verwirklichung der Freiheit und des Schutzes der Freiheit. Die totale Freiheit zerstört sich selbst, die totale Sicherheit, der totale Schutz der Freiheit, zerstört auch sich selbst, also gerade das, was sie schützen will. Und dank der Dialektik der abstrakten Positionen gleichen sich die extreme Linke und die extreme Rechte wie ein Ei dem anderen. (»lichtung// manche meinen/ lechts und rinks/ kann man nicht velwechsern/ werch ein illtum//« Ernst Jandl)
Es gibt aber eine andere Beschreibung dieser beiden Interessen des Menschen, eine Beschreibung, die unterstreicht, dass es sich tatsächlich um eine für die
conditio humana
konstitutive Polarität und nicht um eine destruktive Dialektik handelt und dass es sich beide Male um Interessen der menschlichen Vernunft handelt. Am Anfang dieser Interessen liegt das Interesse, sich in einer vorwiegend feindlichen Natur zu behaupten. Diese Selbstbehauptung geschieht durch fortschreitende Beherrschung der Natur. Aber es gibt auch das Interesse, mit den Dingen der Welt vertraut zu sein, im Sein beheimatet zu sein, sich selbst zu verstehen im Kontext des Universums.
Wissenschaftliche Forschung liegt im Interesse des Herrschaftswillens, ohne den der Mensch nicht überleben kann. Die Philosophie ist der Versuch, die Welt auf solche Weise zuverstehen, dass der Mensch, indem er die Welt versteht, sich gleichzeitig auch selbst versteht.
Und wenn ich sage »Philosophie«, dann benutze ich das Wort nicht in einem neutralen, formellen Sinn, das heißt indem ich vom Inhalt einer jeweiligen Philosophie abstrahiere. Ich benutze es vielmehr wie Platon, wenn er oder sein Sokrates den Gesprächspartnern empfiehlt, nicht auf das zu hören, was die Leute sagen, sondern auf das, was die Philosophie sagt. Sokrates und mit ihm Platon setzen dabei voraus, dass die Philosophie nicht irgendetwas sagt. Philosophie, das ist schon eine bestimmte Position, ja mehr, ein
bios
, eine Lebensweise. Es ist ein Leben, in dem der Wille zur Macht nicht blind bleibt, sondern sich unterordnet unter die Wahrheit, unter den Willen zu verstehen.
Seit dem 16. Jahrhundert hat sich diese Relation umgekehrt. Wissen tritt in den Dienst der Praxis. Ihr Ziel ist nicht mehr die menschliche Macht zu orientieren, sondern sie zu vergrößern durch wachsende Kenntnis der Natur.
Savoir est pouvoir
,
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